In dem bekannten Jadessay von José Ortega y Gasset  (dt.Titel: Meditationen über die Jagd) präsentiert der spanische Kulturphilosoph zu Beginn die Hypothese: Die Jagd ist eine Tätigkeit des Menschen, die  dieser schon vor der Steinzeit als eine der am meisten Glück bringenden Beschäftigungen gewählt hat. Ortega unterscheidet zwischen zwanghaft dem Menschen auferlegten Tätigkeiten wie beispielsweise die Arbeit und solchen, die wir aus Freiheit wählen, zum Beispiel die Jagd auf der Suche nach Glück. Psychologisch gewendet könnte man auch sagen: Es ist die leidenschaftliche Jagd nach Glück auf der Suche nach Selbstidentität, nach Befriedigung emotional-geistiger Bedürfnisse. Mit diesem anthropologischen  Faktum begreift Ortega wie Erich Fromm  in ähnlicher Weise (In.Die Furcht vor der Freiheit) den evolutiven Zusammenhang, den der erwähnte Psychoanalytiger so beschreibt:

” Das unveräußerliche Recht des Menschen auf Freiheit und Glück ist in Eigenschaften begründet, die dem Menschen angeboren sind: in seinem Streben zu leben, sich zu entfalten und die in ihm angelegten Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen, welche sich im Prozess der historischen Evolution in ihm entwickelt haben.” 

Die  JAGD  nach GLÜCK

Und genau darin unterscheiden wir uns neben anderen Merkmalsausprägungen der Differentia spezifica vom Tier. Das  Erleben von Glück oder ein passioniertes Streben danach ist bei Tieren in Gottes Schöpfungsplan nicht vorgesehen. Auch das Tier lebt bzw. erlebt positive Zustände der Seele, aber es erlebt sich nicht selbst, es erlebt nicht ein ICH in diesen Zuständen. Das Tier ist bei Befriedigung  seiner durch Instinkte evozierten Bedürfnisse im Selbstwert seines Daseins zufrieden. Zum Glück fehlt ihm die hiermit verschränkte geistige Dimension. Um nun die Jagd gewissermassen als “höchstes Glück der Menschenkinder” im Sinne seiner Hypothese zu beweisen, macht Ortega “Jagd auf die Jagd”. Wer Ortegas anthropologischen Ansatz kennt, der ahnt schon, daß es hierbei nicht allein um das Verfolgen und  Töten von Tieren geht, sondern auch um kognitiv vorgegebene Bedürfnisse, die sich leidenschaftlich aus dem emotionalen Cortex speisen, aber im Ergebnis der Kulturevolution Ressourcen höherer Ordnung erjagen. Ja, es geht dem spanischen Philosophen auch um Transzendenz, um einen metaphysischen Aspekt als  eine der Natur immanente Qualität. Diese Erkenntnis wurde schon etwa 500 Jahre vor Ortega von Nikolaus von Kues in seinem reifeseten Werk (Spätwerk): De venatione sapientiae , philosophisch bzw. litterarisch in erkenntnistheoretischer Absicht  umgesetzt.

RÜCKKEHR  zur  NATUR  als  AUSDRUCK  der  JAGD

Das “hohe und reine Glück, das die Rückkehr zur Natur bedeutet” können wir nur im “Umgang mit dem ungebändigten Tier suchen, auf sein Niveau binabsteigen, uns von ihm zum Wetteifern angestachelt fühlen, es verfolgen” so Ortega. Er folgert daraus eine Definition: Dieser subtile Ritus ist die Jagd. Jäger erleben im Jagdvollzug zugleich auch einen Zeitsprung der Evolution, weil das “Urwesen der Jagd” im Sinne von José Ortega y Gasset darin erlebt wird,   ” daß es einer höchst archaischen Situation als Möglichkeit für den Menschen eine künstliche Dauer verleiht, und zwar jener ersten Situation, in der er zwar schon Mensch ist, aber noch im Bannkreis der tierischen Existenz lebte.” Ortega beeilt sich, den Jäger vor einem Mißverständnis zu bewahren, das die Annahme des Jägers hervorrufen könnte, Ortega wolle ihn als Tier behandeln. Mit der im emotionalen Cortex verorteten strukturellen Grundannahme zum Phänomen Jagd hat der spanische Kulturphilosoph  eine zutiefst anthropologische Realität des Homo sapiens sapiens begriffen (perhorriziert), ohne damals (1942 wurde der Prologo … zur Jagd in Portugal verfasst)  schon eine  Vorstellung von dem heute gegebenen Wissen der Neurowissenschaften (Hirnforschung) haben zu können.

Die aktuelle Debatte auf dem Felde von Neurowissenschaften und Philosophie: Determiniertheit oder Freiheit?, wird aus dem Aspekt, mit dem Ortega Jagd begreift, nämlich Jagd als Verschränkung eines natürlichen und kulturellen Phänomens, zu einem exorbitant anschaulichen Beispiel für die Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung von Jagd als gleichzeitige Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung von Freiheit.

Wie ist das zu begreifen, nachdem wir uns bemühen, den Sachverhalt zuallererst einmal  zu verstehen? Ortegas Axiom setzt die Antecedenz als Möglichkeit, dass wir Heutigen uns in Form des Jägers in unserer tierischen Existenz erfahren. Das aber funktioniert nur über die cerebrale Verschränkung mit dem emotionalen Kortex und anderen ältesten Hirnarealen, die sich gewissermaßen aus dem Tierischen aufsteigend mit Verstand, also auf dem Felde der Neocortex, verbinden. Auf diese Weise ist jägerisches Tun im Sinne der modernen Hirnforschung zwar  immer determiniert, aber es ist dennoch frei. Wie sonst wäre Jagdmoral (z.B. Waidgerechtigjkeit) zu denken?

Mir erscheint der Hinweis auf eine aktuelle, teils politisch  massiv (Gesetzgebung) unterstützte, teils durch Forstspolitik  von  der grundgesetzlich übergeordneten Sozialbindung des Eigentums  abgekoppelte  Strategie des Umganges mit Wildtieren notwendig: Gemeint sind Bezugsgröße die sich eines wirtschaftswissenschaftlich klingenden Namens in jagdthematischer Absicht  für ein Konzept, nämlich Wildtiermanagement, bedienen und beispielsweise  Regulierung von Wildpopulationen, Vermeidung von Wildschäden und andere, eine  rein kognitiv gestützte Jagdmotivation ohne leidenschaftliche Hingabe an die Sache selbst favorisierte  Reduktion bis hin zur Eliminierung von Wildtierbeständen meinen.  Diese neuerdings öffentlich favorisierte Gestalt des Jägers  hat nichts mit dem zu tun haben, was Jagd sui generis in Kultur und Natur im Sinne von Ortega bedeutet. Hier wird der Jagdbegriff zur Metapher. Die früher häufig von Jagdgegnern zur moralischen Disqualizierung von Jagd  gern benutzte Bezeichnung: KRIEG gegen TIERE, erscheint unter solchen Prämissen  für das funktionale Regulativ bei Wildtiermanagement ziemlich sachgerecht. Bei solchen Aktionen Glück zu erleben wäre, sic stantibus rebus, wohl pervers, eine Pervertierung der notwendig (Tierliebe) emotional fundierten Mensch-Tier- Beziehung als sittliche Rechtfertigung von Jagd überhaupt.   

Worin aber besteht das Glück des archaisch tätigen Jägers einer modernen Informationsgesellschaft, der beim Töten von Wildtieren in extremalen Erlebensqualitäten (Kick) Glück erfährt? Handelt es sich um Lust am Töten, die einem oft behaupteten Trieb Bedürfnisbefriedigung gewährt? Offenbar ist es die einzige und schrecklichste Unbekannte auf dem Felde der modernen Jägerei, daß die Akteure nicht angeben können, weshalb sie diesen exorbitanten Kick im Akt des  Tötens des Wildes erleben, aber  aus dem Aspekt des Motivs zugleich davon überzeugt sind, er bestehe nicht in einer Lust am Töten. Allgemein verneien Wildjäger einen möglichen Kausalnexus von Glückserfahrung (Kick als extremale Bedürfnisbefriedigung) und Töten des Wildtieres.

GLÜCKSERLEBEN an der GRENZE

 zwischen

 MENSCHSEIN und TIERSEIN

Es ist dem Bemühen von Ortega im angegebenen Essay zu verdanken, Licht in das Dunkel der Jagdmotivation  im Sinne eines hermeneutischen Kunstgriffs gebracht zu haben. Ortegas Jagdaxiome auf der Basis einer kulturevolutiven Verschränkung vermochten  bei einer nachfolgenden wissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens die Jagd moderner Prägung als emotionale Bezugsgröße aufzuweisen, die auf einem kulturellen Elementartrieb beruht. Der Mensch erfährt sich nämlich als Jäger im Tätigsein an der Grenze zwischen Menschsein und Tiersein in einer originär naturalen und zugleich kulturellen Dimension: Und darin besteht sein Glückserleben, das in der Regel nicht kognitiv (bewußt), wie beschrieben,  repräsentiert ist.

Der wache Mensch erlebt aber auf diese Weise  auch die Nähe zum Verbrechen, weil er nach Ortegas Worten “den Tod bringt”, den er weder aus natürlichem noch aus kulturellem Bezug in jeder Dimension der unterschiedlichen Erscheinungsweisen erklären kann. Wir kennen diesen immerwährenden Konflikt als Ungnade unserer Natur, wenn  Triebstruktur und Realitätsprinzip um die Verhaltensstärke miteinander konkurrieren. Wenn das Triebhafte aus dem Unbewußten aufsteigend sich mit Verstand verbindet, dann können sowohl sublime Formen geistiger Erfahrung erreicht werden wie ebenso das Böse, das Verbrechen über kulturell motiviertes Streben zu triumphieren vermag: Je nachdem, welch ein Mensch einer ist!

 Das ungeheuere  Dilemma des modernen Jägers in einer auf  Humanität ausgerichteten Gesellshaft scheint offenbar an der Schnittstelle zwischen Leidenschaft und Lusterfahrung, einerseits, und der Notwendigkeit einer Evaluierung dieser Emotionen im logischem Aufweis ihrer Moralität und Sozialität, andererseits, verortet zu sein. Ortegas JagdhHypothesen und  analoge Axiome sind gute Interpretationskonstrukte für unser aller Streben nach Ressoucen, bei der Jagd nach Glück ebenso wie bei der Jagd nach Erfolg,  nach Reichtum und Ehre, nach Macht und Gewinnmaximierung.  Die Fähigkeit, Triebstrebungen im Zaume zu halten ist nicht angeboren, sie muß erlernt werden. Die Internalisierung von Normen bzw. Werten erscheint deshalb für den Sozialisanten ebenso wichtig zu sein wie das Anhäufen von Wissen und eine  wie von Engelshand gelenkte Interdependenz zwischen beiden Entitäten unserer Persönlichkeit: Erst die Interaktion beider Bezugsgrößen, so scheint es, darf zu Recht mit Bildung bezeichnet werden.

Auf die  sozialhygienische Idee moderner Prägung, einen Anspruch auf Arbeit, auf Arbeit im Sinne  angeblicher  Glückserfahrung mittels  Selbstverwirklichung als grungesetzlich verankertes Recht zu etablieren, auf den Gedanken, eine somit  der Freiheit des Menschen entgegen laufende Lebensform dieser Ausprägung zu beanspruchen  wäre José Ortega y Gasset wohl nie gekommen. Verständlich, denn die Dimension des Glücks, die Don José im Blick hatte, ist wohl eher eine Lebensqualität von Eliten. In prekärer Lebenslage erscheint die Freiheit (tun zu können, was beliebt)  bei Abwesenheit von Arbeit eher eine selbstmörderische Göße zu sein. Auf dieser Ebene ist das Jagdschema in Ortegas Sinne wohl ausschleißlich kulturgeprägt, nämlich als Jagd nach Ressourcen zum  Leben und Überleben. Hartzvierer jagen selten nach Wild. Zu wissen, daß ihre Handlungsstrategien Jagdstrategien sind, diese Einsicht wiederum verdanken wir der Abhandlung in Ortegas Essay : Meditationen über die Jagd.

Kategorie: Ortegas Jagd