DIE JAGD - das TÖTEN und - der TOD
Zum Umsturz basaler Werte der Weidgerechtigkeit als Folge des NEUEN HUMANISMUSVorbemerkung
Mit der sprunghaften, teils faszinierenden, teils bedrohlich empfundenen Entwicklung der Forschungsergebnisse vor allem in den Neurowissenschaften, der Genetik, der Hormonforschung, der Neurobiologie hat sich ein Wissen in unser Weltbewusstsein und Menschenbild eingeschlichen, das zu einer neuen und höheren Form der Selbstauslegung des Menschen führte. Hiervon betroffen sind auch unsere Überzeugungen und Werthaltungen, unsere Mentalität überhaupt. In Wissenschaft und Gesellschaft konkurrieren aktuell die Menschenbilder des Humanismus alter Prägung und dessen theoretischer Feind (Nida Rümelin) des Neuen Humanismus. Letzterer vermittelt uns ein wissenschaftsbasiertes Menschenbild. Beispielhaft hierfür tritt das Welt-und Umweltbewußtsein der Jugend weltweit in Erscheinung. Jüngere Generationen mißtrauen den politischen, religiösen oder allgemein gesellschaftlich vertretenen Konzepten zu den Grundlagen biotischer Existenz auf diesem Erdball und vermuten hinter den relevanten Strategien dieser Gruppen egoistisch gestrickte ökonomische und ideologische Interessen. Gemeint ist zuvorderst die aktuelle Klimadiskussion. Der Initiative der jungen Schwedin Greta Thumberg schließt sich inzwischen weltweit ein Heer von Schülerinnen und Schülern mit Demonstrationen an, die macht- und ideologiefrei nichts anderes fordern als die Umsetzung des Wissens aktueller Naturwissenschaft in praktische Politik zur Bewahrung unserer Lebensgrundlagen. Der Wandel des Welt- und Menschenbildes aufgrund des neuen wissenschaftsbasierten Denkens und Fühlens wird uns auf diesem operativen sozioökonomischen Feld deutlich vor Augen geführt. Es ist die Stunde des Neuen Humanismus! In den Sog dieses kulturellen anthropologisch zu verortenden Wandels geraten auch die ureigenen Konstanden der Evolution: Die Jagd,das Töten, der Tod. Die Freude des Jägers an der Wildjagd, die Lust, Tiere zu töten erscheint uns heute unter wissenschaftlichen Prämissen als eine vitale Bezugsgröße, die der Natur der Natur des Menschen Ausdruck verleiht und die wissenschaftlich auch begründbar ist.
Der schöpfungsgläubige Mensch früherer Generationen löst sich allmählich von seinen religiösen Überzeugungen und begibt sich auf einen Weg in eine Welt ohne Gott. Diese Form einer intellektuellen Emanzipation ist offenbar an der Jägerschaft, am Weidwerk in Deutschland vorbei gezogen, weil die intellektuellen Repräsentation der Jäger sich ohne eine geistige Führung mit der Fähigkeit zur Realisierung der aufgezeigten Entwicklung in Grabenkämpfe mit vermeintlichen Jagdgegnern festgefressen hat, die ihre Überlegenheit leicht auspielen können, weil sie den angegebenen Fortschritt weitgehend schon nachvollzogen haben. Zwischen den geistigen bzw. gesellschaftlichen Vertretern der Jägerschaft und ihren vermeintlichen Jagdfeinden tobt aktuell noch eine Argumentation für und wider die Jagd auf einem intellektuellen Niveau mittelalterlich wirkender Geisteshaltung. Kurzum: Jäger in Deutschland haben bisher nicht erkannt, daß das stark negative Ansehen von Jagd und Jägern in unserer Gesellschaft etwas mit dem Neuen Humanismus, mit dem neuen durch Wissenschaft und Forschung geprägten Menschenbild zu tun hat. Der Mangel an Wissen von dem, was Jagd überhaupt ist, die falschen Vorstellungen von Tod und Töten lassen die Jäger in Deutschland in einen ihre Interessen, ja, in einem die Existenz des traditionellen Weidwerks mit seinen Überzeugungen und Werthaltungen gefährdenden Dämmerschlaf verharren.
Mein Beitrag will wachrütteln indem er ein besseres Verständnis von Jagd als Ereignis in Natur und Kultur zu vermitteln versucht. Die Vorstellungen und Werthaltungen im Hinsehen auf das Töten und den Tod unterliegen bekanntlich auch einem kulturellen Wandel. Der überwiegend schöpfungsgläubige Alte Humanismus weicht mit seinem Welt- und Menschenbild auffallend schnell dem Neuen, eher profanen Humanismus mit neuen Werthaltungen und Überzeugungen. Dieser Beitrag stellt die Weidgerechtigkeit als bewährte Handlungsanweisung einem neuen Bewusstsein in Gesellschaft und junger Jägergeneration gegenüber, das vom Neuen Humanismus getragen und geprägt ist (vgl.Position Prof. Urban) Die aufgezeigten Entwicklungen werden an konkreten Beispielen in kritischer Distanz zur Sache Jagd abgehandelt, um eine logisch nachvollziehbare Conclusio in die Sicht zu bringen. Dabei sollen die beiden starken Konstanten der Evolution: Anpassung und Kooperation die Jägergemüter befruchten zu neuen Ufern weidmännischer Denkungsart aufzubrechen.
Die Jagd, eine Konstante der Evolution als Ereignis in Natur und Kultur
Im Kanon kulturellen Sprachgebrauchs tritt die Jagd in vielfältiger Gestalt auf. Diese sprachlichen Vorstellungen und begrifflichen Konnotationen wie z.B. die Torjagd, oder Aufholjagd, Erfolgsjagd, Schnäppchenjagd bzw. Jagd nach Glück werden oft als Metapher verstanden. In den Natur- und Biowissenschaften, in der Ethologie und evolutionären Anthropologie wurde Jagd längst schon als eine Konstante der Evolution erkannt.
Jagd erscheint phänomenologisch in den Blick genommen als ein Antriebssystem aller Lebewesen, das auf Ressourcen zur Selbst- und Arterhaltung gerichtet ist.
Wir verstehen gewöhnlich mit dem Wort Jagd das Insgesamt, was ein Jäger betreibt, um Beute zu machen. Diese Vorstellung aber ist eine fehlerhafte Vereinfachung des Phänomens.
Die Jagd als ein Ereignis in der Natur ist nicht etwas, das der Jäger tut, sondern sie ist als komplexer hirnorganischer molekularer Prozeß das, was ihn zu seinem Tun antreibt und veranlasst. Jagdverhalten wird so z.B. uns Menschen und anderen höheren Lebewesen ganz unbewußt über hormonelle Steuerung auf den Weg gebracht. Jagd wird deshalb erst im praktischen Vollzug bewußt erfahren mit der Folge, daß wir konkretes Jagdverhalten bzw. unser jagdliches Handeln und dessen Voraussetzung, die auslösenden Bedingungen im Gehirn,einfach synonym mit Jagd bezeichnen.
Unsere jagdthematische Frage bringt jetzt den Mechanismus und die Gestalt der Jagd als Ereignis in der Natur im Übergang zur Kultur und einer Bewährung unter kulturellen Bedingungen in den Blick: Welche Merkmale des vorkulturellen Jägers sind in der Verhaltensdisposition des modernen Menschen als genetische Anlage vorhanden?
Zum Entstehen des Jagdschemas in der biotischen Evolution
Einen ersten Beweis hierfür brachte der amerikanische Biologe Tyler Bonner mit einem empirischen Experiment an Schleimpilzen. Er entdeckte die Metamorphose von pflanzlichem zu tierischem Leben, das sich in diesem Urzustand nach einem richtungsorientierten Bewegungsschema mit Nahrung versorgt wie es in identischer Weise auch bei höheren Lebewesen, bei Vertebraten bis zum Mensch, über hormonelle Steuerung, also über Hirnaktivitäten erfolgt, wenn diese Wild jagen. Für diese Entdeckung eines Geheimnisses des Lebens erhielt der Biologe Bonner den Nobelpreis für Naturwissenschaften. Er hatte mit der Frage: „Warum evoluiert lebendige Materie“ eine Lebenszyklentheorie erstellt. Bonner wählte Schleimpilze als Beispiel bioprozessualer Entwicklung und zeigte, daß bei diesen Pilzen schon in deren Verhaltensstruktur ein Jagdverhalten genetisch determiniert ist.
Bonners Bericht im Originaltext interessiert uns Jäger wohl sehr!
„Die Pilze beginnen als eingekapselte Spore, die sich spaltförmig öffnet, und aus jeder kriecht eine einzelne Amöbe. Diese Amöbe fängt sofort an, die Bakterien zu fressen, die als Nahrung vorhanden sind, und nach drei Stunden des Fressens teilt sie sich in zwei Amöben. Bei dieser Geschwindigkeit dauert es gar nicht lange, bis sie alle Bakterien von der Agraroberfläche gefressen haben, nämlich gewöhnlich zwei Tage. Nun folgt etwas Wunderbares. Nach ein paar Stunden Hunger strömen diese sonst voneinander völlig unabhängigen Zellen in sogenannten Aggregationszentren zusammen, um eine wurstförmige Zellmasse zu bilden.
Ab jetzt agieren diese Zellmassen als organisierter, vielzelliger Organismus.“
Hier erleben wir erstmals in der Geschichte des Lebendigen eine Metamorphose von pflanzlichem zu tierischem Lebewesen. Die Zellmassen haben sich zu einem vielzelligen Organismus organisiert, der einen auf Ressourcen gerichteten Mechanismus zur Selbst und Arterhaltung ausbildet: Genau darin liegt das Elementarschema für das Jagverhalten. Der in allen Lebewesen anzutreffende Jagdmechanismus vom Protobionten bis zum Mensch. Der Antriebsmechanismus ist nämlich das, was später mit Aggressionstrieb bezeichnet wird.
Zahlreiche weitere Versuche haben sich diesem Experiment angeschlossen. Sie deuten dieses Phänomen übereinstimmend als natürliches Jagdverhalten, das Organismen zur Gewinnung und Sicherung von Ressourcen im Interesse der Selbst und Arterhaltung dient.
In einer wiss. Untersuchung an der Universität Trier (1996 bis 2003 auf Anregung und unter Leitung von Prof. Dr. Dr.h.c.mult. Paul Müller) wurde im Rekurs auf Tyler Bonners Entdeckung eine allgemeine valide und vollständige Definition des Jagdbegriffs formuliert:
„Die Jagd ist eine Vitalkategorie a priori. Sie ist evolutiv ein struktureller Mechanismus, im Lebewesen als Aktivitäspotential angelegt (Anm.Verfasser: gemeint ist der Aggressionstrieb) Das Jagdschema ist Ausdruck einer energetischen Kraft, die als Richtungssinn auf Sicherung und Erwerb von Ressourcen das Verhalten strukturiert und organisiert. Auf diese Weise ist Jagd ein natürliches und kulturelles Phänomen.“
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Das TÖTEN ist ein Strukturmechanismus der Jagd
Zwischen der Jagd und dem Verzehr bzw. der Aneignung der Beuteressource liegt im natürlichen Feld das Töten und der Tod. Kulturelle Güter der Jagdbeute sind in der Regelder Gewinn von Macht über andere Lebewesen und über Naturgesetze. Es ist die Herrschaft über andere Menschen, über geistige Güter der Wissenschaft und Forschung, der Kunst und Technik. Oft zeigen sich Jagdprozesse auf diesem Feld mit Töten und Tod häufig nur beim Kampf, Bei Feindschaft und Krieg (vgl. Aristoteles).
Das Töten ist Aktion, ist Tätigkeit und Vollzug und ein Mechanismus auf dem Feld der Jagd auf Lebewesen. Der Tod ist inaktiv. Das Lebewesen erleidet den Tod entweder natürlich als Paralyse seiner körperlichen Lebensfunktionen oder gewaltsam durch Unfall oder Tötungshandlung im Allgemeinen nach den Gesetzen der zoologischen Hierarchie (Fressen und Gefressen werden). Sie ist dort genetisch in der Funktion des Zentralorgans aller höheren Lebewesen determiniert. Diesen evolutiven Mechanismus hat der spanische Kulturphilosoph José Ortega y Gasset erkannt und begriffen, wenn er sagt:
“ Die Jagd ist ein freies Spiel der unterlegenen Gattung gegenüber der überlegenen. Der Tod ist wesentlich, weil es ohne ihn kein echtes Jagen gibt: Die Tötung des Tieres ist der natürliche Abschluß der Jagd und ihr Ziel. Das der Jagd an sich, nicht des Jägers.“
Die genetische Immanenz von Jagd und Töten im Lebewesen erkennt Ortega dichterisch so:
„ Die Jagd ist nicht etwas, der zufällig über das Tier kommt, vielmehr ist schon im tiefen Schoß seiner Natur der Jäger vorgesehen.“
Ortegas Erkenntnis zum evolutionären Kausalzusammenhang von Jagd, Tod und Töten im vorkulturellen Bereich innerhalb der Sphäre aller Lebewesen ist erkenntnistheoretisch hoch verdienstlich, weil er nicht einfach von Schöpfung spricht, sondern den HOMO SAPIENS aus dem Aspekt seiner Entwicklungsgeschichte beschreibt. „Der Jäger der Morgenröte „ der Menschheit „(…)ist ein Tier mit gelegentlichen Lichtblicken, ein Tier, in dessen inneren Halbdunkel von Zeit zu Zeit die Einsicht aufleuchtet. Das ist die primitive, ursprüngliche Art, Mensch zu sein.“ Den ersten beweisbaren Lichtblick, den wir hatten, verortet Ortega auf die Zeit vor ca. 20 000 Jahren, als der Jäger der Morgenröte den Hund, also ein anderes Tier zwischen sich und das Wild setzte, um effektiver jagen zu können. Dieser erste Lichtblick in/ aus unserem Gehirn als erstes Aufblitzen des noch immer instinktverschränkten Verstandes fällt zeitlich in etwa mit der Fähigkeit zur Selbstreflexivität, also zu einem Ich-Bewußtsein zusammen, das offensichtlich auch den faktischen Hintergrund des Sündenfalls mit Vertreibung aus dem Paradies ausmacht. Es ist ganz offensichtlich der alttestamentalische Baum der Erkenntnis, der uns aus dem Paradies- das ist unser Zustand in tierischer Verfassung-hinaus beförderte, weil wir einen „Quantensprung“ in unserem Gehirn erfuhren, den man auch mit Mutation erklären kann. Die Mutanten Adam und Eva sahen, daß sie nackt waren, und seitdem wohl gibt es ein Schamgefühl in der Menschheit, das selbst moderne Sexrevolte nicht abzuschaffen vermochte.In den Meditationen über die Jagd behandelt Ortega die Jagd in ihrer Erscheinungsweise speziell als Wildtierjagd.
Töten zwischen Gewissen und Verantwortung
Ortega ermahnt den Wildjäger zu besonderer Verantwortung gegenüber dem Wild, denn:
„Der Jäger bringt den Tod“.
Und deshalb gilt, so Ortega:
“ Die Jagd ist wie jede menschliche Tätigkeit in ihre Ethik eingebaut“.
Daraus folge: „Zum guten Jäger gehört eine Unruhe im Gewissen angesichts des Todes, den er dem bezaubernden Tier bringt.“ Die Lust zu jagen und zu töten aber erkennt Ortega keineswegs als unmoralisch und verwerflich, sondern als Strukturelement ist die Jagd naturgemäß hedonistisch strukturiert, um erfolgreich Beute machen zu können:
“ Dieser Morphologie des Todes steht die Jagd als etwas Einzigartiges gegenüber, denn sie ist der einzige normale Fall in Natur bei dem das Töten eines Tieres zum Vergnügen eines anderen wird“, so Ortega.
Wohl niemand sonst als José Ortega y Gasset hat das natürliche Ereignis Jagd im Leben aller Lebewesen in der Tiefe allgemeiner ontologischer Dimension und in der Phylogenese des Menschen aus vormenschlicher Vergangenheit bis in die konkreten aktuellen Höhen von Kultur und Zivilisation und Religion so exorbitant klar begriffen, so gut verstanden und mit zahlreichen Axiomen beschrieben. Einige jagdthematische Axiome Ortegas sollen hier dargeboten werden:
„Der Sinn der Jagd ist nicht, das Tier zum Menschen zu erheben, sondern etwas viel Geistigeres als dies; eine bewußte und gleichsam religiöse Demütigung des Menschen, der sein Übermacht bändigt und zum Tier hinabsteigt.“
„Die offensichtlichste Tatsache der Welt: Die Jagd ist keine ausschließlich menschliche Tätigkeit“ so Ortega. (…) Der frühe Mensch war ein Raubtier. Und weiter:
“In dem universellen Faktum der Jagd offenbart sich uns die Ungleichheit des Niveaus zwischen den Arten: Die zoologische Hierarchie.“ Die Jagd ist nicht etwas, das zufällig über das Tier kommt, vielmehr ist schon im tiefen Schoß seiner Natur der Jäger vorgesehen.“ Hieraus hat sich Koevolution entwickelt.
Vor dem Hintergrund der Existenzphilosophie Ortegas begreifen wir auch seine tiefe Ehrfurcht vor dem Leben und vor der invisiblen Hand Gottes in den Naturgesetzen:
„Das Leben ist ein schrecklicher Wettkampf, ein grandioser und grausamer Wettbewerb. Die Jagd taucht den Menschen bewußt in dieses gewaltige Geheimnis ein, und deshalb hat sie etwas von der religiösen Erregung und dem Ritus, in dem man das, was die Naturgesetze an Göttlichem, an Transzendentem enthalten, verehrt.“
Eine ähnliche Sichtweise vermittelt Goethe im Vermächtnis, wenn er die natürliche Welt des Lebendigen transzendiert und ontologische Essentials in den Blick bringt:
„Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewige regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig, denn Gesetze
Bewahren die lebendigen Schätze.
Aus welchen sich das All geschmückt.
(…)“
Mit Ortegas Sichtweise begreifen wir, daß der Tod des Tieres Ziel und Zweck der Jagd, also einer allgemeinen Seinskategorie ist; sie ist ganz losgelöst von den Zielen und Zwecken des jagenden Menschen. Auf Jäger wirkt dieser Akt in seiner letzten Vollzugsphase oft wie ein orgiastischer Rausch, den viele Jäger erleben, wenn das Blut, das aus dem Tier strömt bis es verendet des Homo Venators Gemüt ergreift. Ein Erleben dieser Art ist nach dem Wissen der Persönlichkeitspsychologie eine allgemein menschentypische Erfahrung in verschiedenen Lebensbereichen; vor allem dann, wenn triebgesteuerte physiologische Prozesse den Körper und die Seele mit einem Hochgefühl der Lust durchfurchen.
Lebensgefühl, Lebensform und Zeitgeist
Das individuelle Lebensgefühl bildet eine Lebensform aus. Es ist das Ergebnis von Sozialisation und angeborenem Charakter. Lebensformen sind soziale Bezugsgrößen in Gruppen und Gesellschaften. Schließlich entspringt den kollektiven Lebensformen der Zeitgeist einer Epoche. Häufig machen Jäger den Zeitgeist als Verursacher der Mentalität von Jagdgegnern verantwortlich. Diese Einstellung aber scheint ein folgenschwerer Irrtum zu sein. Denn das kollektive Lebensgefühl, das moderne Natur- und Tierschützer verbindet hat Lebensformen dieser Gruppe entwickelt, die im Zuge des Neuen Humanismus ein Menschenbild hervorgebracht haben, das dem Konservatismus abschwört und einen freiheitlichen, gewaltfreien Zeitgeist als Gesellschaftsmodell schuf.
Die Jagd als Lebensform dagegen wird im Ausdruck von Macht, Gewalt und Egoismus wahrgenommen, insgesamt Verhaltenssteuerungen, die einer gesellschaftlich gewünschten Empathiehaltung gegenüber Menschen und anderen Tieren bzw. ggü der Natur zuwiderlaufen. Exakt darin wurzelt der Konflikt zwischen Jägern und Ihren Gegnern. Eine intelligente Problemlösung könnten Jagdorganisationen betreiben indem sie versuchen, die Lebensform Jagd zu einem kollektiven Interesse werden zu lassen, was freilich den Verzicht auf viele Privilegien erfordern würde.
Mit Jagd sind ungenutzt exorbitant starke Symbole verbunden. Durch den Symbolwert der Gegenstände geht Lebensgefühl in Zeitgeist über, dessen Bedeutung für die Selbsterfahrung des Jägers nicht hoch genug geschätzt werden kann! Ein Versuch wenigstens sollte sich lohnen.
Der sich noch so cool vermeinende moderne Mensch lebt in einem Netz von Gefühlen. Das Lebensgefühl ist konstitutiv für die Art wie Menschen ihre soziale Umwelt gestalten. Die spiessige Scheu und verklemmte altbürgerliche Moral der meisten Jäger im Hinsehen auf das Tiefenverständnis der eigenen Jagdmotivation in Abscheu vor dem angeblich sexistischen Zeitgeist führt noch immer dazu, daß sich Jäger die Verschränkung ihrer Sexualmotive mit dem Jagdmotiv nicht einzugestehen bereit sind. Beide Entitäten werden zwar meistens unbewußt erlebt, dennoch aber sind sie motivbildend existent. Denn: Intensivster Ausdruck des triebhaften Willens zum Leben ist die Sexualität, die in Arthur Schopenhauers Menschenbild eine zentrale Rolle spielt:
„Der Ernährungsprozeß ist ein stets Zeugen, der Zeugungsprozeß ein höher potenziertes Ernähren; die Wollust bei der Zeugung die höher potenzierte Behaglichkeit des Lebensgefühls.“
Das Lebensgefühl ist ein Allgemeinbegriff mit den konkreten Inhalten von Freude, Angst und Trauer. Es liegt jedem einzelnen Gefühl zugrunde und formt die Weltanschauung der Person. Daraus folgt: Lebensgefühle sind keine reale Entitäten, aber auch keine reinen Ideen, sondern Bewußtsein im Werden, das nie definitiv zu bestimmen ist. Mit Immanuel Kant halte ich fest: Lebensgefühl und Lebenskunst gehören zusammen, es kommt nur darauf an, die richtigen Maximen zu formulieren und zu befolgen! Nicht das Verhalten des Jägers und nicht die objektiven Gründe machen sein Menschsein aus, sondern die Wandlungsfähigkeit seiner Motive und Empfindungen. Im Grunde geht es allein um die Entscheidung zwischen Liebe, die von einem ganzen Bündel von Gefühlen konstituiert wird, und um Hass, die emotional ebenso starke Negativvariante der Liebe.
Sophokles urteilt in seiner Antigone im ersten Dialog Kreon zum kulturellen Niveau der Menschheit mit einem wohl zeitlos gültigen Satz, der Lebensgefühle und Lebensformen bis zum heutige Zeitgeist prägt:
„ Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da“.
Diese Grundeinstellung bildet heute das emotionale Prägemuster vieler Menshen unserer Zeit in Religionen und einigen politischen Parteien.
Wie erleben wir Glück?
Ich möchte diesen emotionalen Prozeß einmal so beschreiben:
Plötzlich hält die Zeit an, so scheint es uns. Hunderte Schmetterlinge schlagen sachte gegen die Magenwand. Die Gedanken stehen still. Seltsam leicht wird der Kopf. Der Puls steigt, die Ohren sausen. Dann flutet Wärme den Körper. Bis in die Fingerspitzen hinein schießt Energie. Seid umschlungen Millionen, einen Kuß der ganzen Welt. Im Hier und Jetzt sein. Nirgendwo anders sein wollen. Nur man selbst sein.
Als FLOW bezeichnet die Wissenschaft das Glücksgefühl, das Menschen unvermutet überflutet. Flow meint einen Zustand des reflexionsfreien gänzlichen Aufgehens in einer reibungslos laufenden Tätigkeit, die das Subjekt herausfordert, ohne es zu überfordern. Jeder sucht den Kick: über den Wolken, auf den Bergen, auf der Jagd, in der Liebe oder anderswo. Glück führt oft zu einer tief empfundenen Lebenszufriedenheit. Deshalb urteilt Immanuel Kant auch: Glück ist die Zufriedenheit mit dem Leben. Wie aber kann dieser wunschlos glückliche Zustand nachhaltig erreicht werden?
Ich schlage vor: Statt unsere Energie ausschließlich auf der Jagd nach kurzen Kicks zu verschwenden, sollten wir verstärkt unsere eigentlichen Grundbedürfnisse erkennen um zu verstehen, was das Glück ist und was es sein kann. Es sind zentrale Fragen nach dem Sinn des Lebens selbst, nach dem Stellenwert von Liebe, Arbeit, Politik und Vergnügen bei der Jagd, bei Events aller Art und bei der Lust zu Töten im Jagdvollzug. Der Königsweg zum Glück führt offenbar über die Priorität der Motive, den Beziehungen zu anderen Menschen höchsten Rang einzuräumen.
Glück in seiner Reinheit erleben zu dürfen setzt, anders als kollektive Glückserfahrungen in der Masse, ein freiheitlich liberales privates Milieu, Abwesenheit einer Neidgesellschaft und unbelastete Umweltbedingungen voraus, um frei und in Freiheit atmen zu können.
Sind aber doch die schönsten Momente in unserem Leben eher nicht die, so frage ich Euch, die uns frei atmen lassen, sondern jene Augenblicke eines Lidschlags der Zeit, die uns den Atem rauben!?
Der Erlebenshöhepunkt des Jägers dieser Art wird im psychologischen Fachjargon der Persönlichkeitspsychologie, deren Vertreter der Verfasser ist, mit Kick bezeichnet; ähnlich dem physiologisch herbeigeführten Kumulus bei einem sexuellen Orgasmus. Nicht jeder Mensch erlebt diesen Kick in derselben Weise und mit derselben Intensität: Je nachdem, welch ein Mensch einer ist. Manche erleben ihn selten oder gar nicht, einige aus unserer Spezies leben in seinem Bannkreis eine Zeitlang davon.
Gemeint ist das exorbitante Glücksgefühl, das viele Jäger im Vollzuge ihrer Lust zu töten erleben. Ein Hochgefühl, das uns alle wohl so oder so ähnlich zu ergreifen vermag.
Erleben glückhafter Zustände ist häufig das zentrale Jagdmotiv. Jose Ortega y Gasset stellt fest, die Jagd auf Wild gehöre zu den glückhafttesten Beschäftigungen der Menschen aller Zeiten. Der Höhepunkt des Erlebens fällt meistens mit dem Töten des Wildes zusammen. Der hierbei häufig erlebte exorbitante emotionale Kumulus fällt danach in einer kathartischen Phase ab, wenn Adrenalin und Herzschlag wieder zur Harmonie geraten (post coitus omne animal triste). Die hormonelle Systemsteuerung ist offenbar bei allen Triebregungen, den geistigen wie den physischen, gleich.
Doch auch dieser herrliche Augenblick, in dem Hormone die Zeit zum Stillstand bringen und wir die Welt umarmen wollen, unterliegt eigenen Gesetzen. Es ist exakt der Moment, die Minisekunde davor, in der ich eigentlich glücklich bin, aber ich weiß es nicht. Das Glück ist ein flüchtiges Reh! In dem Augenblick, in dem uns unser momentaner Glückszustand bewußt wird, verflüchtigt sich der magische Flow.
Das ist der Grund, weshalb viele Jäger, und unter ihnen wohl immer die passioniertesten, das Glück mit aller Gewalt festhalten wollen, indem sie Erinnerungswege mittels Trophäen als Statthalter verlorenen Glücks schaffen. Und darin hat der Jäger ein ganz archaisches Gemüt, indem er sich ein Symbol, ein Bild schafft, das er angesichts dessen vorübergehender Anwesenheit mit Entzücken der Erinnerung für die Realität hält, meint Ortega.
Der religiöse, der gläubige Jäger hält solche Höhepunkte seines Lebens für ein Geschenk des Himmels. Der im Neuen Humanismus verwurzelte moderne Jäger weiß, daß seine schöne heile Welt des Augenblicks sich seiner hirnphysiologischen Funktionen verdankt.
Dem alt gewordenen Waidkameraden, der noch immer mit großer Freude von weidmännischem Erleben träumt, rufe ich zu:Nimm dir Zeit für deine Träume, bevor die Zeit dir deine Träume nimmt!
Neuer Humanismus und Naturalismus
Mit den jüngeren Erkenntnissen der Neurowissenschaften, der Hirnforschung und Genetik, der Neurobiologie usw. wurde nach dem 2. Weltkrieg ein neues, ein wissenschaftsfundiertes Menschenbild geschaffen, das sich im kulturellen Raum auch neuen Wissenschaftsformen verdankt. Julian Nida Rümelin hat den Naturalismus als einen theoretischen Gegner des Humanismus bezeichnet. Können wir dieser Bewertung folgen?
Richtig ist, daß ein konsequenter Humanismus vom Menschen ausgeht und deshalb auf übernatürliche Behauptungen verzichtet. Also eine Welt ohne Gott?
Für die Jagd in Deutschland, für das Weidwerk und seine moralische Rückbindung im Sinne unseres Jägerethos, für Jagdkultur mit jagdlichem Brauchtum konservativer Prägung bedeutete eine Entwicklung dieser Art eine Paralyse des jägerischen Selbstverständnisses, das die Schöpfung und Geschöpfe als eine Glaubenseinheit wahrnimmt, in der sich ein analoges Weltverständnis einbettet. Tatsächlich aber berührt der NH keine Wertentscheidungen, keine religiöse Welteinstellungen, keine ethischen Fragen und keine Lebensformen. Der NH löst stattdessen wissenschaftsbasiert die Polarität zwischen Mensch und Natur auf: Der Mensch ist nicht länger die früher behauptete und vielberufene Krone der Schöpfung, sondern er ist ganz schlicht bloß Teil der Natur, wie alle anderen Lebewesen mit freilich exzellenten Merkmalen, die ihn vor allen anderen Lebewesen auszeichnen. Verdienst des NH ist die auf Wissenschaft basierende Erkenntnis, die natürlichen Anlagen des Menschen zur Kooperation und zur Einfühlung als genetisch vorgegeben bewiesen zu haben.
Der Wert des NH besteht also vor allem in einer sozialen Dimension. Für uns Jäger gibt es folglich wie für alle anderen Menschen ebenso einerseits mentale Gründe für unser Handeln und es gibt andererseits neuronale Ursachen. Wir dürfen beide nicht als interdependent betrachten; hier gibt es keinen Kausalnexus, denn mentale Gründe sind keine neuronalen Ursachen! Die Vollzugsebene ist jeweils eine andere. Die aktuelle Hirnforschung und Neurophilosophie hat inzwischen zur Erklärung beider Phänomena den Bereich Bewußtsein in den Blick genommen: Was hat unser Geist mit Bewußtsein zu tun? (vgl. Markus Gabriel)
Zur Selbstauslegung des Menschen leisten heute in erster Reihe die Neurophilosophie, die evolutionäre Anthropologie und evolutionäre Psychologie maßgebliche Forschungsbeiträge. Wir interpretieren den Menschen allgemein als Ergebnis der Evolution, als ein Lebewesen innerhalb der Natur und nicht etwa als eine Krone der Schöpfung. Das gilt für jegliche Interpretationskonstrukte unserer Spezies, für solche, die mit einem religiösen Glauben verbunden sind wie ebenso für Agnostiker oder jene, die sich mit Atheist zu bezeichnen belieben. Das wilde Anrennen der christlichen Fundamentalisten gegen die wissenschaftlich evidenten Fakten der Evolutionstheorie (Neodarwinismus) in der unbeirrbaren Überzeugung, unsere Existenz in der Welt mit allen anderen Lebewesen verdanke sich der göttlichen Schöpfung, die vor wenigen tausend Jahren belebte und unbelebte Welt errichtet habe wirkt fast komisch, wenn wir Kants Postulat, unseren Verstand zu gebrauchen, bedenken wollen. Daher höchst erstaunlich, daß diese gesellschaftliche Gruppe von Eliten meist katholischen Glaubens in den Jagdorganisationen bis zum CIC eine Meinungen und Überzeugungen ausbildende Macht mit sozialen Mechanismen von Verdrängung und Diskriminierung ganz unauffällig auszuüben in der Lage ist.
Es bedeutet kulturelles Verhängnis, daß gerade jene, die das christliche Gedankengut am meisten engagiert zu vertreten, zu verteidigen behaupten (die Fundamentalisten),unserer christlichen Religion den größten Schaden zufügen. Der Gottesglaube ist eine Gnade. Blaise Pascals Wette wäre jedenfalls ein Ausweg für den Agnostiker („Ich wette, daß es Gott gibt… usw.“) Und ein Glaube an das Jenseits ist auch mit Immanuel Kant nicht aufgegeben, wenn man ihn mit seiner tiefsinnigen Anmerkung zum Tod richtig versteht:
„Was auf das Leben folgt deckt tiefe Finsternis..
Was uns zu tun gebührt, des nur sind wir gewiß
Dem kann kein Mißgeschick, kein Tod die Hoffnung rauben:
der glaubt um recht zu tun
Recht tut um froh zu glauben.“
Logische und psychologische Evidenz
Unter grundsätzlicher Ablehnung aller christlich-fundamentalistischer Einstellungen und gesellschaftlichen Agitationen darf die Jagd in Deutschland nach unserer Überzeugung in ihrer kulturellen Gestalt die christlichen Positionen nicht aufgeben. Es gilt inzwischen anthropologisch und kulturevolutiv als gesichert, daß Religion (gleich welchen Bekenntnisses) eine genetische Anlage des modernen Menschen ist.
Europäische Kultur und Christentum sind untrennbar und interdependent verbunden. Deshalb ist die Pflege z.B. des jagdlichen Brauchtums mit Hubertusmessen oder Weihehandlungen im jägerischen Kontext, mit Treue zur Heimat und zur familiären wie sozialen Vergangenheit eine vom Zeitenlauf unabhängige Bezugsgröße, die zu erhalten und zu pflegen ein jagdkulturelles Obligo bedeutet.
Wer eine reiche Obsternte will, darf dem Bum nicht die Wurzeln abschneiden.
Die Idee des Christentums und die auf Ortega zurückgehende Idee der Europäischen Leitkultur widersetzen sich notwendig einer multikulturellen Beliebigkeit. Jagd und Jäger unter diesem Anspruch von religionsbasierter Jagdkultur erweisen sich damit als wesentliche Pfeiler der europäischen Kultur im Hier und Jetzt und in der Zukunft, Toleranz, Freiheit und Aufklärungsbewußtsein vorausgesetzt!
Logische Evidenz erzeugt Wissen und erkennt Fakten. Religiöser Glaube ist psychologische Evidenz und erzeugt Überzeugungen. Auf diese Weise sind Glaubensinhalte Wirklichkeitstatbestände. Wahrheit und Wirklichkeit verbinden sich im religiösen Glauben. Deshalb gebührt ihm der Respekt jeglicher modernen Gesellschaft auch dann, wenn sie nicht glaubt. Der NEUE HUMANISMUS hat diesen Spagat längst vollzogen. Er respektiert die christliche Überzeugung, daß der Mensch nicht einfach ein zufälliges Produkt der Evolution ist oder bloß ein Konkurrent mit menschlichen Mitbewerbern um den besten Platz an der Sonne (im Sinne eines Neoliberalismus…),sondern daß wir ein letztes Ziel und eine letzte Erfüllung in der vorbehaltlosen Liebe zum Mitmenschen finden im Geiste von Personalität, Solidarität, Subsidiarität und Gemeinwohl:
Das sind auch die vier Ecksteine des Hauses Europa! So betont das Prinzip des Gemeinwohls, in seiner aktuellen Ergänzung in Zeiten des Klimawandels um das Prinzip der Nachhaltigkeit, das uralte Ziel der Gerechtigkeit.
Was hat mein Exkurs zur Religion mit unserem Thema zu tun?
Wie oben gezeigt wurde, hat die Selbstauslegung des Menschen durch den NEUEN HUMANISMUS eine kategoriale Wende des Menschenbildes erfahren. Wir Menschen, wir Jäger sind nicht länger als Gottes Ebenbild geschaffen, sondern Mutanten der biotischen Evolution, die bekanntlich ebenfalls schöpferisch arbeitet.
Exakt dieser Bewußtseinstatbestand ist die von einer überwiegenden Mehrheit aller Glaubensrichtungen in Deutschland getragene Überzeugung! Die Gesetze Gottes sind nicht die Gesetze dieser Welt. Wie hätte Christus, nach unserem Glauben der Erlöser von unserer Erbschuld, sonst am Kreuz hängen können?
Die Humanität im Sinne des NEUEN HUMANISMUS ist ein zentrales Kriterium ad hominem mit dem Ziel, die Welt gewaltfrei menschlicher zu machen. Daraus folgt im NH die Verantwortungsbasis für andere Lebewesen, die wir im Geiste einer artübergreifenden Humanität zu berücksichtigen haben.
Wir haben im NH unsere Menschenwürde nicht verloren. Sie gründet aber anders als im katholischen Christentum nicht mehr im Faktum der Schöpfung Gottes, weil Gott uns, so unsere Glaubensüberzeugung, nach seinem Bild und Gleichnis schuf. Der NH verzichtet also auf die Annahme unseres Glaubens an eine Gott gleiche Her-und Abkunft und begründet die Menschenwürde eher im Sinne von Immanuel Kant. Für Kantianer haben allerdings Menschen, die der Schöpfer in seiner unendlichen Güte und Weisheit mit dem Verstand nur sehr ungenügend ausgestattet hat, Kinder bis etwa zum vierten Lebensjahr, Schwachsinnige beispielsweise nicht die allen anderen zukommende Menschenwürde.
Der bekannte Tierrechtsphilosoph Peter Singer ist ein „waschechter“ Kantianer (Animal Liberation) und gründet eben darauf seiner Argumentation, die wir als Christenmenschen –horribile dictu- äußerst beschissen finden. Menschenwürde im Ausdruck fehlender religiöser Rückbindung, wie diese in der säkularen BRD vom Verfassungsgericht begriffen wird, fällt auf recht triviale Formen menschlicher Existenz zurück. Die bundesdeutsche HRR formuliert die Designate des Begriffs von Menschenwürde mit höchst allgemeinen Konnotationen, die es jedoch leistet, daß sie allem, was des Menschen Antlitz trägt zukommt!
Die für Menschenwürde durch das Verfassungsgericht determinierten Merkmale zur gesellschaftlichen Internalisierung zwecken auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Schutz der Persönlichkeitsrechte ab. Sie sind nicht ontogenetisch etwa im Verstand oder in irgendeiner Form von religiöser Anlage des Menschen verortet. Höchstrichterlich anerkannte Kriterien sind:
die Achtung vor den im GG konkretisierten Menschenrechten, Chancengleichheit, Wahrung der personalen Identität, Individualität und Integrität. Sowie die elementare Rechtsgleichheit. Deshalb darf der Mensch gemäß verfassungsgerichtlicher Prämisse niemals zum Objekt staatlichen Handelns degradiert werden.
Bevor wir uns dem Neuen Humanismus mit seinem neuen Menschenbild im Blick auf eine veränderte Einstellung des modernen Menschen, der jüngeren Jägergeneration, zu den Werten und Normen der Weidgerechtigkeit nähern wollen, sollen basale Werte des konservativen Jägerethos in unserem Bewußtseins wach gerufen werden. Sie gelten für den gläubigen Christen in konservativer Verfassung seines Religionsbezuges, für den Jäger vom guten Schlage, unabdingbar weiter wie bisher. Ihnen kommt allgemein eine Zeit und
Wertewandel übergreifende Bedeutung zu.
Basale WERTE der WEIDGERECHTIGKEIT
Das Grundverständnis der Jäger vor allem in Deutschland im christlichen Geiste von Albert Schweitzer für die ganze Schöpfung , „für alles, was lebt“ Verantwortung zu tragen, basiert auf der Glaubensüberzeugung, mit allen Lebewesen gemeinsam Glied der göttlichen Schöpfung zu sein. Aus dem Gedanken der Mitgeschöpflichkeit ergab sich für das Jägerethos in Deutschland, also für die Essentials der Verhaltenspflichten des Jägers ein normativer Codex, eine sittliche Handlungsgestalt, die auch einen konkreten Namen trägt: Weidgerechtigkeit. Objekte der Weidgerechtigkeit sind das gesamte Ökosystem, Menschen und andere Tiere, also Natur und Kultur mit der Zivilisation sowie eine Orientierung an immanenten Prinzipen der Sittlichkeit, die allgemeingültige Werte repräsentiert.
Das Gedankengut dieser Form einer indefiniten, aber umso stärker gefühlten Jagdmoral ist zugleich auch Ergebnis des alten Humanismus, den man moralanalog mit dem Paradigma der Klassik und Schillers Worten definieren kann:
„Nach seinen Sinnen leben ist gemein. Der Edle strebt nach Ordnung und Gesetz.“
Vor diesem Hintergrund ist die Höhe der sittlichen Bewertung des Weidwerks in der Sprache früherer Zeit zu begreifen, wenn da oft vom edlen Weidwerk die Rede ist. Zur Weidgerechtigkeit gehört die Fähigkeit des Jägers, den Aggressionstrieb, die Anschubkraft der Jagdpassion also, im Zaume zu halten, nicht aber zu unterdrücken, weil dieser Trieb eine allgemein genetische Disposition aller Lebewesen ist um zu überleben. Kant bezeichnet genau diesen Trieb dann, wenn er unbeherrschbar ist, als das radikal Böse. Denselben Mechanismus bezeichnet Sigmund Freud mit Destruktionstrieb. Er ist Auslöser der Tötungsmotivation und gehört folglich auch zur Jagdausübung, soll sie erfolgreich sein. Die Triebkultivierung gelingt dem Menschen, dem Jäger durch Triebbeherrschung, durch die Fähigkeit, von Trieben auch unabhängig sein zu können. Dies alles sind, so meine ich, Essentials der Weidgerechtigkeit. Sie haben ihre Gültigkeit offenbar nicht verloren, nur werden sie heute anders begründet. Sünden werden nicht mehr gebeichtet und schon gar nicht mehr bereut. Der Übeltäter hat das Gewissen in den Hades des Unbewußten verbannt. Ihn nagt nicht mehr das Gewissen, sondern die Ungewißheit, daß etwas heraus kommen könnte. Wenn schon die Angst vor der Strafe Gottes verloren ging, so hat sich wenigstens doch die Furcht vor der Strafe irdischer Gerechtigkeit erhalten.
Was bedeutet Weidgerechtigkeit im hergebrachten guten Sinne?
Weidgerechtigkeit ist Ausdruck des Jägerethos und, zum Subjekt gewendet, ist sie ein moralisches Gefühl. Man sagt, sie sei ein unbestimmter Rechtsbegriff und damit sagt man zugleich nix, was jemand konkret verstehen könnte. Bezugsebene der Weidgerechtigkeit sind, wie schon oben angegeben: Gesellschaft, Umwelt und hier vor allem Tiere. Unser Wild und andere höhere Tiere sind beseelte Lebewesen. Sie verfügen über Bewußtsein.
Solange wir Menschen denken, daß Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, daß Menschen nicht denken!
Ortega zeichnet schließlich aus der Gesamtschau aller jagdlichen Episoden folgendes Bild:
„Alles dies bezieht sich auf jene letzte Szene, die den Abschluß der Jagd bildet und in der das herrliche Fell des Tieres mit Blut befleckt und jener Körper, der reine Bewegung war, in die absolute Paralyse des Todes verwandelt wird. Ist es erlaubt, so etwas zu tun? Fragen wir uns.“
Genau das ist das Problem im Zentrum der Jagdmotivation. Diese Frage stellen sich sehr viele Bürger, die das Weidwerk, wie wir es verstehen, aus diesem und einem anderen, dem emotional unbegreiflichen Grund, der den Jäger zu seiner speziellen Lust antreibt, kritisch und oft distanziert feindlich betrachten. Das Emotionale Jagdparadox als Erklärungsmuster ist ein wissenschaftliches Paradigma, das nur schwer zu begreifen ist; am wenigstens scheinen es die Jäger selbst zu verstehen!
Für den Jäger in Absicht moralischen Handelns bei der Jagd gilt eben insoweit genau das, was Kant für unser Jägergemüt andeutet. Seine universelle Antenne von Sinnlichkeit und Geist ergreift einen jeden von uns in seiner tiefinneren Geistseele im Brennpunkt von Kognition und Emotion:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer Bewunderung, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“
Für uns Menschen, für den Jäger in seiner tierischen Verfassung bedeutet Kants „bestirnter Himmel“ ein Symbol für unsere Natur als biotisches Lebewesen neben allen anderen. Das moralische Gesetz aber erhebt uns über die Tierheit und macht den Menschen zum Kulturwesen.
Jeder Mensch hat ein sicheres Gefühl für eine Pflicht ggü. anderen Lebewesen, nach der so genannten Goldenen Regel handeln zu müssen.
Denn nur die Grenzen, die wir uns selbst setzen, binden uns!
Die Konstitution der Conditio Humana bildet sich als Mixtum Compositum aus Triebstruktur und Geist. Als Naturwesen unterliegen wir aber keiner Moralinstanz, sondern purem Egoismus. Eine Überwindung egoistischer Determiniertheit gelingt uns, gelingt dem Jäger durch seine genetische Prädisposition zur Kooperation und Einfühlung.
Ich reflektiere nachfolgend auf das moralische Gefühl des mit Tradition und Brauchtum verbundenen Jägers an einigen Beispielen als vorbildlich geltender Jägerpersönlichkeiten einer vergangenen Epoche. Für sie galt das Gewissen im Ausdruck christlichen Gedankengutes als ein roter Faden, als Handlungskorrektiv. Die Werte und Normen des alten Humanismus waren zugleich Werte und Normen der Weidgerechtigkeit. Der humanistisch geprägte Jäger vorausgehender Generationen fühlte sich verpflichtet, sein Tun vor Gott und der Welt (den Gesetzen) rechtfertigen zu müssen.
Otto von Riesenthal: Das ist des Jägers Ehrenschild, daß er hegt und pflegt sein Wild
Weidmännisch jagt wie sich´gehört-Den Schöpfer im Geschöpfe ehrt…
Heinrich Laube: Die Liebe ist das Leidenschaftsgeheimnis vom Menschen zum Menschen, und die Jagd ist das Leidenschaftsgeheimnis vom Menschen zu alle dem, was nicht Mensch ist (S.67)
Robert Musil: Es gibt Sünden-und Tugendböcke; außerdem gibt es Schafe, die ihrer bedürfen (S. 86). Anm. Auch bei den Jägern gibt es „Tugendböcke“, die nicht müde werden, an einer Jagdethik herumzubasteln wie ein Kleinkind am superschnellen Computer.
Goethe: Aus geheimsten Lebensgrunde raunt es immerzu: Schlag dem andren keine Wunde, denn der Andre das bist du! Wie du kränkst, so mußt du kranken, unser Ich ist Wahn und Pein; schließ in Deiner Selbstsucht Schranken alles, was da atmet ein (147).
Dietrich Stahl: Der Jäger kann seinen elementaren Konflikt nicht lösen.Er kann sein Tun begründen, doch er vermag es nicht, bis ins Letzte zu erklären, warum er Tiere tötet, die er mit ganzer Hingabe hegt, die er längst als brüderliche Mitgeschöpfe erkannt hat (…) S. 18).
Walter Niedl: Der eine jagt, will es ihn freut, der andere aus Besessenheit, der dritte sucht as Glück auf Erden, der vierte möchte schlanker werden, der fünfte Jagd, weil`s alter Brauch,der sechste riecht gern Pulverrauch, der siebte schätzt den Hasenbraten, der achte strebt nach Heldentaten, der neunte übt den guten Schuß, der zehnte flieht den Hausverdruß, der elfte jagt ,mal hier, mal da, vom Ungarland bis Afrika, der zwölfte endlich, der muß jagen, muß sich für`s Wild und andre plagen.….. S. 21)
Ortega y Gasset: Die Jagd ist nicht etwas, das zufällig über das Tier kommt, vielmehr ist schon im tiefen Schoß seiner Natur der Jäger vorgesehen (S.50).
Ders.: Nun steht die ganze Morphologie des Todes die Jagd als etwas Einzigartiges gegenüber, denn sie ist der einzig normale Fall, wo das Töten eines Tieres zum Vergnügen eines anderen wird. Das steigert die Schwierigkeit ihrer Ethik zum Paroxysmus.(S.52).
Paul Müller: „Aus weidgerechtem Jagen wird ökosystemgerechtes Jagen (…)(S.58) Ökosystemgerechte Jagd bedeutet, daß sich die Jagd den ökosystemaren Bedingungen in den jeweiligen Landschaftsräumen nicht nur anzupassen hat, sie muß ihre Hege auch auf die Ökosysteme ausdehnen. Sie wird, ja, sie muß in den letzten Naturräumen anders sein als in unseren Restnaturräumen in Mitteleuropa .Wer hier in Zukunft jagen will, der muß bereit sein, die Folgen seines Handelns für die gesamte Natur zu tragen.“
Umsturz basaler Werte der Weidgerechtigkeit
Eine Rangordnung der Werte von Weidgerechtigkeit ist nicht herstellbar, weil alles Wertefühlen immer subjektiv ist. So ist der Wert Leben nicht für allen Menschen gleich hoch! Dennoch können wir mit den Zitaten angeben, welches Wertefühlen die Einstellung des Jägers früherer Zeit ggü. dem Wildtier, der Ökologie und anderen Menschen geprägt hat. Basale Werte waren schon immer Ausdruck von Fairnis gegenüber anderen Tieren.
Das ethische Tierschutzcredo für die Würde, die einem Tier zukommt lautet deshalb:
Jedes Tier hat einen Anspruch darauf, im Selbstwert seines Daseins geachtet zu werden.
Der moderne, ökologisch und der Tierethik verpflichtete Jäger bezeichnet diesen Aspekt kurzerhand mit artübergreifender Humanität.
Beide Pflichtengebote bilden auch das Handlungs-und Verhaltenskorrektiv im NH. Sie liegen auf dessen basaler Motivationsebene, nämlich:
die Erde gewaltfrei menschlicher zu machen.
Der Unterschied zur etwa gleichartigen Motivation des konservativen Jägers liegt in der unterschiedlichen motivationalen Grundhaltung: Weidgerechtigkeit in konservativer Denkart ist stark altruistisch besetzt und rekurriert auf den religiösen christlichen Glauben im Geiste der Bergpredigt mit Nächstenliebe und Achtung der Schöpfung Gottes. Tiere sind Mitgeschöpfe.
Stattdessen will der Jäger im Verständnis des NH Gewaltfreiheit und Menschlichkeit aus natürlichem Egoismus betreiben. Er handelt nicht aus religiöser Rückbindung, sondern egoistisch wie der Bäcker bei Adam Smith um des eigenen Vorteils willen. Seine Weidgerechtigkeit, also seine moralischen Prämissen sind in Kants Sinne nicht moralisch, sondern bloß moralanalog; er folgt zuvorderst seinem sozial angepasste Triebinteresse und instrumentalisiert hierfür mit einer moralisch positiven Einstellung Menschen und andere Tiere mitsamt ihrer Umwelt. Religion als Anlage des Menschen wird vom NH nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Er wendet sich aber gegen Wunderglauben, Erlösungsphantasien, Unsterblichkeitshoffnungen und Jenseitsvorstellungen. Kurzum: Der NEUE HUMANISMUS baut auf dem alten auf, akzentuiert ihn aber anders und integriert den Erkenntnisfortschritt der modernen Wissenschaften. Ich Bereich der Ethik werden die zeitlosen Vorstellungen vom guten (gelingenden) Leben beibehalten. Auch Epikurs Lehre und der Hedonismus prägen neuhumanistische Vorstellungswelt.
Weidgerechtigkeit ist in Wertrelevanz nach alter Prägung also idealistisch mit teilweise religiöser Rückbindung.
Nach dem Verständnis des NH ist sie egoistisch und mit einer durch eine von den Neurowissenschaften geprägten Motivationsgestalt eher säkular strukturiert.
Hier geht es um die faktische Gewinnmaximierung von Beute in doppeltem Sinne: Beute auf dem Feld des Hedonismus, des Erlebens und Beute im Geiste ökologischer Verantwortung und Notwendigkeit.
Die Instanz, mit der auf beiden Seiten die moralische Integrität gemessen wird ist kategorial verschieden: Für herkömmliche Weidgerechtigkeit ist es das Gewissen im Sinne von Immanuel Kant sowie eine unabdingbare Achtung vor der Schöpfung. Für den Jäger nach Art des NH ist es der Erfolg, also eine Form des Neoliberalismus, den er selbst hervorgebracht hat. Es geht um die faktische Gewinnmaximierung von Beute in doppeltem Sinne: Beute auf dem Feld des Hedonismus, des Erlebens und Beute im Geiste ökologischer Verantwortung und Notwendigkeit.
Die hiervon affizierten Jäger und ihre Verbände sollten zugeben, daß darin das eigentliche Motiv besteht, z.B. Nachtzielgeräte einsetzen zu wollen! Nicht die Werte, die Weidgerechtigkeit ausmachen, haben sich geändert, sondern die Einstellung vor allem jüngerer oder spät berufener Weidmänner zu ihnen.
Das Jagdmotiv im Zeitenwandel
Ob Jägerinnen und Jäger die Tiere, in Sonderheit ihr Wild, das sie mit Passion und Lust zu töten nicht müde werden lieben oder kalt bis ans Herz in die ewigen Jagdgründe befördern, ob also die Jägerpersönlichkeit einen sozialen Mitleidscharakter besitzt oder eher roh und gefühlsarm geprägt ist, das hängt wesentlich auch von der molekularen Determiniertheit des Gehirns der Akteure im vorstehend angegebenen Sinne ab. Es bedarf keiner näheren Erwähnung, daß solches selbstverständlich auch im Kontext des Individualverhaltens innerhalb unserer Gesellschaft, im arteigenen sozialen Umgang also gleichermaßen anzutreffen ist. Honi soit, qui mal y pense!
Das Jagen und das Töten bei der Jagd im Zeitalter des Neuen Humanismus erscheint stark hedonistisch. Ökologisch gewendet ist es nur sachorientiert . Auf diese Weise handelt der Jäger nicht moralisch, sondern nach Kant nur moralanalog. Er ist nicht weidgerecht, weil ihn im Falle eines Regelbruchs das Gewissen quält, sondern nur aus Furcht vor Strafe, wie Arthur Schopenhauer Menschen dieses Schlages schon erkannt hatte. Das bedeutet für Jägerinnen und Jäger unserer Zeit: Um sicher zu gehen muß die Gesellschaft das Jägerethos , die Jagdmoral nämlich im Geiste der Weidgerechtigkeit, erzwingen durch Gesetz.
Unter dem Anspruch von Freiheit aber darf das allgemein kulturell basierte Gefühl des europäischen Menschen mit der Fähigkeit zur Empathie und Kooperation im Sinne von Humanität nicht aufgegeben werden, sondern es sollte vor allem die modernen Wildjäger binden und verbinden, um Humanität auf die Tierwelt als artübergreifende Humanität zu erweitern.
Die toten Flüchtlinge im Mittelmeer sind im commune sense eine humanitäre Katastrophe. Zahlreiche verhungerte Rottiere an nicht beschickten Winterfütterungen in Bayern sind ebenfalls eine humanitäre Katastrophe im Sinne einer artübergreifenden Humanität. Die Rettungschiffe sind die Gehirne der Akteure, allen voran die Bauern und Forstwirte, die über Eigentum an Grund und Boden verfügen; es ist das Gewissen von Jägern, Politikern und der beteiligten Gesellschaft im Range des von Immanuel Kant geforderten Moralitätsprinzips. Die Normen der Jäger sind nach altem Muster gemäß einer wiss. Untersuchung von Ulrich Schraml utilitaristisch unterlegt und egoistisch strukturiert; sie sind Ausdruck einer Situationsethik mit unterwürfiger Machthörigkeit.
Evolution, Gehirn, Bewußtsein
Jäger behaupten oft das Wild, das sie bejagen zu lieben.
Ein renommierter Schriftsteller und erfahrener Jäger mit selbstkritischer Distanz zum Jagdmotiv hat diese für die nicht jagende Gesellschaft schwer verständliche Äußerung mit der Frage untersucht: „Wir töten was wir lieben: Wie ist dieses Paradox erklärbar?“
Der Autor spekuliert psychologisch, zoologisch und anthropologisch. Er kommt zu keinem klaren Ergebnis und verzichtet endlich auf einen Erklärungsversuch. Inzwischen haben Neurowissenschaften im Konzert mit der Hormonforschung und Genetik eine Erklärung ermöglicht.
Ich habe mit dem Hirnforscher und passionierten Jäger, Prof. Christian Elger (Uni Bonn) diese und andere Fragen nach einem Jagdbesuch auf meiner Hütte in weiten Dimensionen multidisziplinärer Wissenschaft in Absicht dialektischer Abhandlung diskutiert. Elger weist auf die Verschiedenheit der meisten Hirnaktivitäten von dem, was wir uns insoweit vorstellen, hin: Die Freude an der Jagd, die Lust zu töten kann nach seiner Ansicht damit erklärt werden, daß das Belohnungssystem unseres Gehirns nicht auf das Honorieren von rationalen Entscheidungen angelegt sei. Die meisten Prozesse seien sehr archaisch, weil wir etwa 90% der Menschheitsgeschichte in kleinen Sozialisationen, in Höhlen zugebracht haben. Diese Mechanismen der Jagd aber seien heute so nicht mehr angebracht. Sie stecken aber trotzdem so tief in uns drin, daß sie noch immer unser Verhalten und Erleben bestimmen. Der archaische Jäger erlebte notwendig große Lust, Wild zu töten, um Beute zu machen. Das war damals unabdingbar notwendig zur Selbst und Arterhaltung. Im molekularen Speicher unseres Gehirns sind solche Mechanismen tief verankert und führen deshalb zu einem Gefühl der Paradoxie, weil wir sie nicht bewußt erleben können. Epigenetische Pozesse sind molekulare Mechanismen mit Wirkung auf unsere Gene ohne die dort (auf den Allelen) gespeicherten Informationen zu verändern. Dabei markieren Enzyme bestimmte DNA-Abschnitte. Epigenetik beschreibt also die Metaebene genetischer Regulation. Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen (z.B. Jagdleidenschaft), das Entstehen von Krankheiten können im Kontext selbst sehr kleiner Umweltveränderungen epigenetisch beeinflusst werden.
Jagdmotivation mit Tötungsabsicht ist hormonell gesteuert.
Ein anderes Beispiel zu den molekularen Verhaltensgrundlagen von Menschen und anderen Tieren vermag das ebenfalls zu verdeutlichen. Unsere Gene sind etwa zur Hälfte im Gehirn aktiv, Sie bewirken dort die Hormonbildung. Die Hirnforschung beweist uns die positive Wirkung des Hormons Oxytozin auf Paarbindung. Harmonie, soziale Beziehungen, Empathie, Gefühle von Vertrauen, Treue und Altruismus werden auf diese Weise gefördert. Dieses Peptidhormon wird im Hypothalamus, unserem ältesten Hirnareal, dem Steinzeitjägergehirn produziert und ins Blut ausgeschüttet. Bei vielen Lebewesen existiert aber auch noch ein Antagonisthormon, das Vasopressin. Es fördert entgegen Oxytozin z.B. promiskuitive Neigungen, es ist also ein typisches Fremdgängerhormon. Vasopressin wird auch für starke Formen von Dissozialität und Gefühlsarmut, für exorbitanten Egoismus und kognitive Zentrierung mancher Menschen (verkopft..) auf rein rationales Bewerten und Erleben von Intersubjektivität und Gesellschaft ohne soziale Anteilnahme verantwortlich gemacht.
Ein rein triebhaft lebender Mensch wäre einerseits noch kein Mensch. Ein rein verstandeszentrierter Mensch aber wäre andererseits kein Mensch mehr!