Ernest Hemingway und José Ortega y Gasset:
Erleben von Glück in leidenschaftlicher Hingabe an die Jagd
Der Kriegsreporter, Schriftsteller und Jäger Ernest Hemingway erfährt Ehre, Mut, Ausdauer und Heroismus in der Niederlage aus drei elementaren Handlungsfeldern des menschspezifischen Herrschaftsstrebens (über die Natur) und er erfährt sich dabei in den bewußtseinsjenseitigen Sphären der Conditio Humana: Er schöpft diese Tugenden aus dem Stierkampf (Fiesta, 1926, Death in the Afternoon, 1932), aus dem Krieg (For Whom the Bell Tolls, 1940) und vor allem aus Jagd und Fischerei (Green Hills of Afrika, 1935, The Snows of Kilimanjaro und The Short Happy Life of Francis Macomber, 1936); schließlich zu nennen: The Old Man and the Sea, 1952.
Elf Jahre vor den “Meditationen über die Jagd” von José Ortega y Gasset begreift Hemingway Jagd in ihrer eigentlichen menschspezifischen, kulturellen Bedeutung als Glück (In dem realistischen Reisebericht über vier Wochen Großwildjagd in den “Grünen Hügeln Afrikas” wird diese exorbitante wie extraordinäre Form der Emotionalität im Kapitel “Pursuit as Happiness” als Elementarerleben zum Ausdruck gebracht.). Thematisch klingt das im Sinne von Ortega anthropologisch verortete Streben nach Glück in der Weise eines Gefühls der Berufung zu einem bestimmten Tätigsein an: Zum Jagen ! Die Befreiung des Menschn von der Todesangst vermittels Jagd ist bei Hemmingway wie bei Ortega y Gasset gleichermaßen ein zentrales Interpretationskonstrukt, dessen Pikanterie in der Behauptung gipfelt (Ortega, ähnlich Hemmingway), die Jagd sei der einzige normale Fall in der Natur, in dem das Töten eines Lebewesens zum Vergnügen eines anderen wird.
Ein Grundzug von moralischer Reflexion ist dem Elementarprozeß immanent. Ein Prinzip der Waidgerechtigkeit klingt in der Schilderung der vergeblichen Nachsuche auf eine Rappenantilope, die stärkste in dieses Jägers Leben, an, wenn er selbstreflexiv seine unbeherrschte Leidenschaft (zu weit und zu unsauber auf das hochflüchtige Wild geschossen) für den Mißerfolg verantwortlich macht. Im Spannungsfeld zwischen Selbstzucht und sinnlicher Zügellosigkeit erscheint Hemingways Jagdgefährte Karl, der schlechtere Schütze, aber ein beherrschterer Jäger und demgemäß der erfolgreichere Mann: Er erbeutet die kapitalere Trophäe.
Charakteristisch für Hemingways Grundhaltung zur Jagd, für seine Ziele und Zwecke, die er mit der Jagd verfolgt, sind folgende limbisch strukturierten Ausdrucksformen jagdthematischer Emotionalität:
1. Die Faszination der Verfolgung des Wildes, Expertise der Spurensuche (J. O.y.G.: Der unterirdische Kontakt zwischen Mensch und Tier, zwischen Jäger und Wild), Glücksgefühl und Lebensintensität durch Spannung.
2. Bewährung in den Strapazen bis zum Stellen des Wildes. Selbstbeherrschung, die nicht nachlassen darf, wenn der Schuß bricht.
3. Verhältnismäßigkeit der Mittel: fair play. Der Jäger hat zwar eine weitreichende Waffe, aber das Wild ist in seiner vertrauten Umgebung, es schützt sich durch Tarnung oder Bewegung, es hat die schärferen Sinne. Das Wild kann entkommen, der Schuß kann fehlgehen.
4. Der erlebte Kick, Zufriedenheit und tiefes Glück über Waidmannsheil sind korreliert mit dem permanenten Drang des Jägers nach Einsfühlung mit Natur und Wild, mit Wild als dem Repräsentanten der Natur, mit Verbundenheit mit der gestreckten Jagdbeute und schließlich mit der bewußt intendierten Retentionskette von Erlebens- und Erinnerungsepisoden (vgl. hierzu Edmund Husserl in: Cartesianische Meditationen).
5. Ausleben einer vermeintlich atavistischen Natur des Menschen (Beute machen in seiner ursprünglichsten Form an Stelle Sparen bzw. Sammeln, Geschäftemachen, Sport betreiben oder mit Wissenschaft und Forschung den kulturüberhöhten Geist quälen). Die Fähigkeit zum Handeln frei von einer durch Reden, Realitätsverdrängung und Emotionsvergewaltigung, von unangemessener Bedeutung des Realitätsprinzips und angemaßter Rationalität, die sich auf einen Geist abstützt, von dem die wenigsten überhaupt sagen können, wo und wie sich dieser bei bzw. in ihnen bemerkbar macht.
Jagd als kultureller Elementartrieb
Der allgemeinen, für einen kulturellen Elementartrieb beispielhaften Bedeutung wegen wird Hemingways Erzählung “The Short Happy Life of Francis Macomber“ als eine der subtilsten Jagd- und Detektionsgeschichten der Weltliteratur diskutiert, die auch hiernach offen lassen wird, ob es sich um einen Jagdunfall oder heimtückischen Ehegattenmord handelt. In Hemingways einfacher Sprache überrascht die Tiefenschärfe, mit der er die Bewußtseinsstromtechnik zum Ausdruck der Einsfühlung macht und beispielsweise hierin den waidwund kranken Löwen einbezieht.
Von existenzialistischem Stoizismus geprägt nimmt diese Kurzgeschichte vom glücklichen Leben auf der Jagd eine doppelt ironische Wende (Zum Stil: vgl. Johann Wolfgang von Goethe: Die Novelle). Der neureiche Macomber schrickt aus Feigheit vor der Verfolgung des krankgeschossenen Löwen zurück und will das mannshohe Gras lieber anzünden (die Vietnam-Methode). Seine Frau, ein ehemaliges Mannequin (Geld heiratet Schönheit), verachtet ihren Mann ob dieser Feigheit so sehr, daß sie nachts vielleicht auch unter der Mißempfindung möglicherweise erfahrener anderer Unzulänglichkeiten des Gatten zu dem britischen White Hunter ins Zelt kriecht. Am Ende lernt der kühle Jagdführer Wilson seinen amerikanischen Gast wenigstens zu achten, denn gegen den angreifenden, gefährlichen Kaffernbüffel steht und feuert Macomber bis zur letzten Sekunde. Genau bis zu diesem Augenblick, als ihn selbst die Kugel seiner Frau niederstreckt.
Detail zu Hemingway und Carter
Bekanntlich ist Jagd eine Sache auf Leben und Tod. Sie erscheint wie kein anderer Bereich menschlicher Existenz geeignet, den allgemeinen Zusammenhang zwischen Sein und Nichtsein, näherhin zwischen der Vitalkategorie Leben und der Vitalkategorie Tod aufgrund eines durch einen kulturellen Elementartrieb evozierten Bedürfnisses zu erleben, zu erleiden und auf beides im glückhaften Erleben zu reflektieren.
Limbisch strukturiert, im Bewußtsein nicht repräsentiert liegt das Spannungsfeld zwischen Leben und Tod als kultureller Beweger der Evolution des Selbstbewußtseins dem Bedürfnis, wilde Tiere zu bejagen und zu töten, existential voraus und zugrunde. Deshalb ist das Bedürfnis zu jagen eine elementare, menschspezifische Lebensform, (wenn sie je und je subjekttypisch denn eine ist!), die aus dem universellen Gebot der Aufklärung, nämlich dem Prinzip der Toleranz andere Gesellschaftsglieder nötigt, dieser mit Respekt zu begegnen und ihr den Spielraum zu belassen, die sie anderen Lebensformen einräumt.
Eros ist das der Liebe innewohnende Prinzip sinnlicher Anziehung.[1]
Es ist die Sehnsucht nach dem Leben. Motiviert Eros das amerikanische Jungjägerpaar Macomber in der Kurzgeschichte “The Short Happy Life of Francis Macomber” (p. 28)[2], auf der Großwildjagd in Afrika die wundersame Erneuerung seiner Liebe zu suchen? Der personifizierte Eros ist ein schöner Knabe mit goldenen Flügeln, ausgerüstet mit Bogen und Pfeilen, die die Liebe[3] erwecken, Sohn des Kriegsgottes Ares und der Schönheitsgöttin Aphrodite (römisch Mars und Venus)[4]. Eros ist also aus der Verbindung von Tod und Liebe hervorgegangen.
Ist Mrs. Macomber von einem Pfeil des Eros getroffen, als sie eines Nachts in das Zelt des britischen Jagdführers Wilson kriecht? Oder will sie ihren Mann nur für dessen Feigheit bestrafen? Hat Eros, das Sinnbild der Freundschaft und Liebe zwischen Jünglingen und Männern, am Ende gar das Herz Wilsons für den über sich hinauswachsenden Francis Macomber entflammt? Oder hat Anteros, der Gott der verschmähten Liebe und Rächer, Mrs. Macomber am Ende dazu bewogen, den Mord an ihrem verloren geglaubten Ehemann durch das blitzschnell erkannte Ablenkungsmotiv eines Fangschusses auf den angreifenden Büffel zu tarnen? Das kurze, glückliche Leben des Francis Macomber ist voller mehrdimensionaler Ironien, mit denen Hemingway seine amerikanischen Landsleute, nicht zuletzt in Gestalt des britischen Gentleman-Jägers Wilson, geißelt.
Sehnsucht nach Tanatos
Thanatos ist der Todestrieb, Sohn der Nacht und Bruder des Schlafes. Nachdem Sisyphos, die Symbolfigur des Existentialismus,
Thanatos in seine Gewalt gebracht hatte, konnte niemand mehr sterben, bis der Kriegsgott Ares den Tod befreite.[5]
Thanatos, der Todestrieb, ist das Leitmotiv in der Kurzgeschichte “Master” (p. 6, 1974)[6] der britischen Autorin Angela Carter (1940-1992). Auf einem Relief im Artemision (Tempel der Jagdgöttin Artemis) von Ephesos tritt Thanatos in Gestalt des Eros auf.[7] Was passiert, wenn Eros einen Pfeil der Artemis aus dem Köcher zieht? (Pergamon-Altar zu Berlin: Titanenkampf) Hederich: Orion und Aktaeon als Opfer ihrer Rache! Artemis, röm. Diana, ist auch Göttin des Mondes; Schwester des Sonnengottes Apollo, Tochter des Zeus und der Erdgöttin Proserpina, Göttin der Jungfräulichkeit, in einigen Sagen Mutter des Eros, deren Pfeile aber i. Ggs. zu denen des Amor, Liebhaber gnadenlos töten.[8] (s. FREUD. Mythen – Psychoanalyse).[9]
Carters Nimrod “Master” ist leidenschaftlich in den Tod verliebt. “Das Töten bleibt ihm als letztes Mittel, weil es ihm die Sicherheit gab, noch am Leben zu sein.”
Längst des Jagens auf dem ältesten Kontinent der alten Welt überdrüssig, stellt Master in den Dschungeln Amazoniens der mörderischsten aller Raubkatzen der Neuen Welt, dem Jaguar, nach. Er kauft eine jungfräuliche Amazone als Jagdgefährtin, die er nach Robinson-Crusoe-Manier “Friday” nennt. Angesichts der Lässigkeit, mit der ihr Master Jaguare tötet, wird der Amazonas-Indianerin bewußt, daß Master der Tod in Person ist: “… she soon realised he was death itself.”[10]
Der Jaguar ist jedoch auch das Stammestotem von Masters Sklavin. Während er seinen gnadenlosen Vernichtungskrieg gegen die Dschungelkatzen führt und Friday sadistisch vergewaltigt, macht das Mädchen eine Metamorphose zur Jaguarin durch: sie ißt rohes Fleisch, sie verscharrt ihre Losung nach Katzenart, die Sonne spielt Pardelringe auf ihre braune Haut, ihr wachsen Schnurrhaare. Würde sie nicht aufrecht gehen, dann hätte Master sie längst erschossen. Im Fieberwahn der Malaria werden die Rollen getauscht. Das potentielle Beutestück Friday greift seinen Meister an: “His prey had shot the hunter”[11] – die Beute hatte ihren Jäger zur Strecke gebracht!
“The Short Happy Life of Francis Macomber”
Aus dem Aspekt der Jagdtheorie mit einem jagdthematischen Aufweis der Natur der Natur des Menschen zwischen Sinnlichkeit und Vernunft:
Kulturelle Elementarbedingungen in anthropologischer Absicht einer Selbstauslegung des Menschen
Der tödliche Konflikt in Hemingways Kurzgeschichte (1936) entwickelt sich aus einer Ehekrise und einer Dreiecksbeziehung zwischen der Titelfigur Francis Macomber, einem amerikanischen Playboy, seiner kapriziösen Ehefrau Margaret/Margot, einer ehemaligen Schönheitskönigin und dem englischen Berufsjäger Robert Wilson, der die beiden auf einer afrikanischen Großwildsafari als Jagdführer betreut. Die Geschichte hat die Konsequenz einer griechischen Tragödie: Sie spielt an einem Tag, in der darauffolgenden Nacht und am nächsten Morgen, der die Katastrophe bringt. Sie spiegelt die Nähe und Wechselwirkung eines biologischen Elementartriebes (Sexualität) zu bzw. mit einem kulturellen Elementartrieb (Jagd). Orte der Handlung sind ein komfortables Jagdcamp in der Savanne Kenias, sowie mehrere Verfolgungsjagden auf Löwen und Büffel mit den notwendigen Nachsuchen im hohen Steppengras.
Die Erzählung ist eine prägnante Ausformulierung des Hemingway-Code,
…jenes Ehrencodicis von Mut und Todesverachtung, Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen, Schweigsamkeit und Kompetenz, Heroismus und männlicher Würde.
Der Repräsentant dieser Haltung ist Robert Wilson, der “white hunter” [...].[12]
Dieses Interpretationsmuster, Robert Wilson als idealisierter “White Hunter”[13], erscheint durchaus plausibel, obwohl der Amerikanist Kurt Müller im Kapitel “Die Selbstdekonstruktion des Männlichkeitsmythos in ‘The Short Happy Life of Francis Macomber’ (1936)” seines Buches Ernest Hemingway: Der Mensch. Der Schriftsteller. Das Werk. (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1999)[14] dieses Ideal systematisch abzubauen sucht.
Aus Hemingways Gesamtwerk und seinen vielen biographischen Selbstzeugnissen kennen wir aber dessen Verachtung für verweichlichte Männer, sein Ressentiment gegen dominante Frauen und seine Bewunderung für ein Ideal todesmutiger Männlichkeit und Menschlichkeit.
Ich halte das Ende von “Francis Macomber” weder einseitig für einen tragischen Jagdunfall, noch ebenso einseitig für einen tückischen Ehegattenmord. Beide Hypothesen halten einander die Waage, sie machen das Ende ambivalent. Hierfür spricht die literaturhistorische Stellung dieser Kurzgeschichte zwischen dem geschlossenen Ende der Gattung im 19. Jhdt. durch das erklärte Übernatürliche oder Psychoanalytische etwa bei E. A. Poe und Ambrose Bierce und dem völlig offenen Motivationsende postmoderner Kurzgeschichten, etwa Doris Lessings “To Room Nineteen” (1963): Warum die Schriftstellerin dort Selbstmord verübt, weiß schließlich, wenn überhaupt, außer der Autorin, nur sie selbst, doch Susan Rawlings ist eine literarische Figur, die man nicht fragen kann.
Rezeptionsbestimmend für die Interpretation von Hemingways “Francis Macomber” ist seit der Erstveröffentlichung der Kurzgeschichte 1936 die Hypothese des heimtückischen Mordes, die sich auch 1990 in Kindlers Neuem Literaturlexikon findet.
Wilson deckt die psychologischen Hintergründe dieses “Unfalls” auf: In der blitzartigen Erkenntnis, daß der durch seinen Todesmut mündig und glücklich gewordene Macomber sie verlassen würde, hat Margot ihn getötet.
Angelpunkt dieser meisterhaft konstruierten Kurzgeschichte ist ein für Hemingway typisches Moment: Macombers “Mannwerdung” in der Konfrontation mit den Urkräften der Wildnis und mit dem Tod.[15]
Zunächst fällt auf, daß Wilsons Perspektive der des Autors Hemingway am nächsten steht.
Francis Macomber [...] was thirty-five years old, kept himself very fit, [...] had a number of big-game fishing records, and had just shown himself very publicly, to be a coward.[16]
Diskret sucht der Jagdführer seinen Kunden vor der Blamage zu schützen, aber Mrs. Macomber hat alles mit angesehen: die beiden schlechten Schüsse Macombers auf den Löwen, Macombers ängstliche Fragen:
‘Can’t we set the grass on fire?’
‘Can’t we send beaters?’
‘Why not leave him there?’[17]
,Können wir das Gras nicht anzünden.’ (Die Vietnam-Methode)
,Können wir nicht Treiber hineinschicken?’ (Die Sklavenhalter-Methode)
,Warum lassen wir ihn nicht einfach liegen?’ (Die Laissez-faire Methode)
Schließlich Macombers panische Flucht in die tiefste Verachtung Wilsons und Mrs. Macombers:
… his wife had reached forward and put her hand on Wilson’s shoulder. He turned and she had leaned forward over the low seat and kissed him on the mouth.[18]
Dies ist keine Geste rührender Dankbarkeit, wie feministische Interpretationen meinen, sondern Margots Abkehr von ihrem Ehemann, der Sexualität nur aus Büchern kennt. Konsequenterweise begeht Mrs. Macomber Ehebruch und kommt nach zwei Stunden aus Wilsons Zelt, befriedigt und vor Glück müde, wie die feindselige “Zur-Rede-Stellung” durch ihren Ehemann uns verdeutlicht:
‘… you are a bitch.’
‘Well, you’re a coward.’
‘You think that I’ll take anything.’
‘I know you will, sweet.’
‘Well, I won’t.’
‘Please, darling, let’s not talk. I’m so very sleepy.’
‘You said if we made this trip that there would be none of that. You promised.’
‘Yes, darling. That’s the way I meant it to be. But the trip was spoiled yesterday. …’[19]
Von allen Männern, die Francis Macomber je gehaßt hatte, haßte er Robert Wilson am meisten. Alles deutet auf ein tiefes Zerwürfnis des Ehepaars hin, nur der Schein einer Ehe wird aus materialistischen Gründen gewahrt. Aber noch ist Francis der unreife Playboy und Margot die sich durchaus ihres Erscheinungskapitals Ausstrahlung bewußte Beauty Queen.
Margot was too beautiful for Macomber to divorce her and Macomber had too much money for Margot ever to leave him.[20]
Robert Wilson pflegte eine Doppelliege auf Safaris mitzuführen, um irgendwelche Zufallsbekanntschaften bequem zu betten. Er hatte schon lange für eine gewisse Klientel gejagt, Vorläufer unseres internationalen, sportiven Jetset, deren Frauen überzeugt waren, nicht genug für ihr Geld zu bekommen, wenn sie nicht das Bett mit dem weißen Jäger geteilt hatten -
… their standards where his standards as long as they were hiring him. They were his standards in all except the shooting, … the killing … they all respected him for this.[21]
Über die Einhaltung der Prinzipien eines Jägerethos hinaus, steht Wilson persönlich für die Sicherheit und das Leben seiner Jagdgäste und Gewehrträger ein.
Es ist müßig, eine Liebesaffäre zwischen Margot Macomber und Wilson zu konstruieren oder Mrs. Macomber als emanzipierte Subversion eines “… unechten, verlogenen Männlichkeitsmythos” hochzustilisieren, wie Kurt Müller dies versucht?[22]
Für die Mordhypothese spricht Hemingways Interviewäußerung aus dem Jahre 1953:
Francis’ wife hates him because he is a coward [...]. But when he gets his guts back, she fears him so much she has to kill him – shoots him in the back of his head.[23]
Nun soll man D. H. Lawrences weisen Rat befolgen und immer dem Text, nie dem Autor allein trauen: “Never trust the artist. Trust the tale.”[24] Hemingways Text, so ambivalent er ist und endet, rechtfertigt unter kriminologischen Aspekten jedoch eher die Hypothese, daß Mrs. Macomber keine moderne Emanze, sondern eine kaltblütige, heimtückische Mörderin ist. Müllers These, Mrs. Macomber sei das tragische Opfer von Wilsons professioneller Deformation vom waidgerechten Jäger zum brutalen Killer,[25] steht auf tönernen Füßen, weil sie auf Fehlinterpretationen basiert.
Was für die Sach- und Fachkompetenz von Jagdschriftstellern als Autoren gilt, muß auch von Kritikern verlangt werden. Ich würde mir jedenfalls nicht anmaßen, einen Sauerbruch-Roman auf medizinische Korrektheit zu überprüfen, ohne approbierter Chirurg und Internist zu sein.
Die Hypothese von der “Selbstdekonstruktion des Männlichkeitsmythos” basiert auf einigen Fehleinschätzungen.
1. War die Ehe von Mr. und Mrs. Macomber schon vor der Jagdsafari gescheitert, was sich in Kenia nur erweist.
… he did not know how his wife felt except that she was through with him. … she was not a great enough beauty any more. … to better herself … she had missed the chance to leave him and he knew it.[26]
2. Es besteht keine gefühlsintime Beziehung zwischen Wilson und Mrs. Macomber.
Sie versucht, beide Männer auszunutzen, aber ihre Dekonstruktionsversuche des Männlichkeitsmythos prallen ab, weil Wilson sich keine Illusionen macht, da seine Vorurteile nur allzu berechtigt sind und Francis Macomber über sich selbst hinauswächst, als er die Initiationsprüfung nach der gefährlichen Löwenjagd durch die noch gefährlichere Büffeljagd, trotz seines Versagens als Novize, besteht.
‘I’ve dropped the whole thing’, she said, sitting down at the table.
‘What importance is there to whether Francis is any good at killing lions? That’s not his trade. That’s Mr. Wilson’s trade. Mr. Wilson is really impressive killing anything. You kill anything, don’t you?’
‘Oh, anything,’ said Wilson. ‘Simply anything.’ They are, he thought, the hardest in the world; the hardest, the cruellest, the most predatory and the most attractive and their men have softened or gone to pieces nervously as they have hardened.[27]
– bilanziert der White Hunter in Gedanken bereits vor der Rückblende, der analytischen Verarbeitung der Löwenjagd.
Nach der Büffeljagd am nächsten Morgen aber ist Wilson von Francis Macombers Schießfertigkeit und mutiger Jagd so begeistert, daß er ihn mit einem ahnungsvollen Shakespeare-Zitat in seine neo-stoische Lebensphilosophie einweiht:
…a man can die but once; we owe God a death …[28]
Vor der Enthüllung von Wilsons Gedanken warnt uns Hemingway auch vor der Härte des White Hunter.
… extremely cold blue eyes with faint white wrinkles at the corners that grooved merrily when he smiled.[29]
Wilson looked at Macomber with his flat, blue, machine-gunner’s eyes and the other smiled back at him.[30]
Es ist absurd zu interpretieren, daß ein so vom Autor vorgestellter Berufsjäger in seiner professionellen Umgebung von einem hübschen, intelligent-destruktiven und zur Prostitution fähigen, weiblichen Jagdgast in seiner Männlichkeit verunsichert werden kann.
sucht.
Es besteht auch keine intime Gefühlsbeziehung (mehr) zwischen dem Ehepaar. Im Gegenteil, mit Francis Macombers Reifeprozeß sinkt Mrs. Macombers Eros, so listig sie ihren Status auch durch Anschuldigungen zu verteidigen sucht.
‘You killed the first bull. The biggest one. …You shot damn well.’
‘Let’s get the drink’, said Macomber. In his life he had never feIt so good. In the car Macomber’s wife sat very white-faced.[31]
Mrs. Macomber ist nicht wegen der Geländefahrt (45 m.p.h.) totenblaß, sondern spielt wieder einmal die Richterin, weil sie ihrem Mann die Selbstbestätigung mißgönnt und sogar Wilson erniedrigen möchte.
‘… I didn’t know you were allowed to shoot them from cars though.’
‘No one shot from cars’, said Wilson coldly.
,I mean chase them from cars.’
‘… It’s illegal ift that’s what you mean.’
‘I’d lose my licence for one thing.’ … ‘I’d be out of business.’
‘Well,’ said Macomber, and he smiled for the first time all day.
‘Now she has something on you.’
Wilson looked at them both. If a four-letter man [arse] marries a five-letter woman [bitch], what number of letters would their children be?[32]
Mr. and Mrs. Macomber sind seit elf Jahren verheiratet. Aus dem Text geht nicht hervor, daß sie Kinder haben. Ihre Streitehe wird auch unfruchtbar bleiben, denn noch an diesem Morgen wird das kurze glückliche Leben des Francis Macomber im blühenden Alter von 35 Jahren durch Mrs. Macomber als Thanatos ausgelöscht. Er war wirklich nur kurz glücklich.
3. Müller versucht, unter Hinweis auf Wilsons angebliche Mißachtung von Jagdethik und Waidgerechtigkeit, den Berufsjäger als Berufskiller, als brutale Verkörperung des Thanatos-Motivs, darzustellen, um die Männerfreundschaft zu dekonstruieren und Mrs. Macomber wenigstens teilweise als tragische Heldin zu rechtfertigen. Klar ist nur, daß Wilson den Büffeln mit dem Jeep den Weg von den Äsungsflächen zu den Wasserlöchern abschneidet, um Macomber zum Schuß zu bringen, was er mit allen Konsequenzen als illegal zugibt. Er hätte sich auch waidgerecht mit dem durch Macomber krankgeschossenen, ältesten Bullen zufriedengeben müssen.
4. Der Berufsjäger verbietet Macomber sowohl auf der Löwenjagd: ‘You don’t shoot them from cars,’[33] als auch auf der Büffeljagd: ‘Not from the car, you fool!’[34], aus dem Auto zu schießen. Bei dem Löwen ist es ausschließlich Sicherheitsverantwortung und Waidgerechtigkeit, bei dem Bullen auch die Sorge um den Erfolg. Ein weidwunder Löwe würde jeden angreifen, und in einem offenen Geländewagen sitzend, könnten sich die Jäger schlecht verteidigen. Schüsse aus einem mit 72 km/h durch die Savanne preschenden Jeep sind Fehlschüsse.
5. Wilson besteht auch darauf, dem weidwunden Löwen, notfalls allein, den Fangschuß anzutragen:
‘For one thing, he’s certain to be suffering. For another, someone else might run onto him! … Don’t worry about anything. I’ll keep you backed up.’[35]
6. Der Amerikanist aber Nicht-Jäger Kurt Müller unterstellt Hemingways Berufsjäger:
“[...] daß Wilsons Gewehr keine normale Jagdwaffe sei, sondern die Eigenschaften einer Maschinenpistole hat.”[36] Er läßt sich, weil er nicht nach der Wirkung verschiedener Kaliber fragt, durch Macombers Angstperspektive täuschen:
Robert Wilson came up then carrying his short, ugly, shockingly big-bored .505 Gibbs and grinning.[37]
Eine Nachsuchenwaffe auf gefährliches Großwild muß nicht häßlich, aber handlich sein und die Stoppwirkung einer großkalibrigen Kugel verschießen.
… the unbelievable smash of the .505 with a muzzle velocity of two tons.[38]
Die Auftreffenergie ist der wichtigste Faktor für die tödliche Wirkung eines Geschosses. Ein kurzläufiger Repetierer dieses Kalibers hat einen “röhrenden” Mündungsknall. Ballistisch produziert er das Gegenteil einer Maschinenpistole, nämlich die enorme Stoppwirkung mit einem einzigen Geschoß. Macomber schießt eine .30-06 Springfield mit 220 grains Vollmantelgeschossen, für Kaffernbüffel ein eher schwaches Kaliber, und Mrs. Macomber eine 6.5 mm Mannlicher, die sie besser nie angefaßt hätte, da diese Büchse das niedrigste Kaliber hat, welches in Europa auf alles Schalenwild zugelassen ist. Das afrikanische Wild ist bekanntlich viel stärker.
7. Die zerstörerische Hinterhältigkeit der Mrs. Macomber offenbart sich moralisch, weil sie die kreatürlich-existentielle Angst ihres Mannes vor dem weidwunden, kapitalen Löwen nutzt, um Francis als totalen Versager in allen Lebensbereichen lächerlich zu machen, während der Berufsjäger die zunächst erwiesene Feigheit seines Gastes als ziemlich natürliche Panik versteht und verzeiht.
8. Die zerstörerische Hinterhältigkeit der Mrs. Macomber offenbart sich auch kriminologisch, weil sie ihren Mann hinterrücks erschießt. Selbst bei Ausschluß aller – zweifellos vorhandenen – niederen Motive, begeht sie die schlimmste Straftat nach Mord, Totschlag oder fahrlässige Tötung. Sie hätte nicht schießen dürfen,
a) da ihr Mann voll in der Schußrichtung zwischen ihr und dem angreifenden Bullen stand,
b) weil ein 6,5 mm Geschoß aus der Mannlicher in der Stoppwirkung gegen einen ausgewachsenen Kaffernbüffel, der nach Treffern nachweislich nicht mehr unter Schockwirkung steht, völlig unzureichend ist,
c) da der Berufsjäger vorausgegangen war und den finalen Fangschuß angebracht hatte.
Wilson had ducked to one side to get in a shoulder shot. Macomber had stood solid and shot for the nose, shooting a touch high each time and hitting the heavy horns, …, and Mrs. Macomber, in the car, had shot at the buffalo with the 6.5 Mannlicher as it seemed about to gore Macomber and had hit her husband about two inches up and a little to one side of the base of his skull. Francis Macomber lay now, face down, not two yards from where the buffalo lay on his side …[39]
9. Mrs. Macomber hätte allein dem Berufsjäger das Schießen überlassen müssen. Francis, dessen stattliche Größe immer wieder erwähnt wird, war vornüber gefallen, also stehend noch fast vier Meter von dem zusammenbrechenden Büffel entfernt, als dieser ihn, aus dem Blickwinkel Mrs. Macombers, bereits auf die Hörner zu nehmen schien. Der spitz angreifende Büffel stellt die größtmögliche Lebensgefahr für den Jäger dar, weil er einen tödlichen Schuß nur zwischen die Lichter oder auf den Stich anbringen kann. Wilsons Empfehlung, auf die Nase des Büffels zu zielen, falls Macomber einem Frontalangriff nicht ausweichen kann, ist kein “barbarischer Ratschlag”[40], wie Kurt Müller behauptet, sondern basiert auf der praktischen Erfahrung, daß man nicht zu hoch abkommen darf, da das Gehirn des Kaffernbüffels durch Hornwülste gepanzert ist, so daß nur ein Schuß auf das Nasenbein eine enorme Schockwirkung hat oder, bei gesenktem Haupt, auch die Kammer des Büffels trifft. Müllers Kritik, daß Wilson voreilig davon ausgeht, daß Macomber den Büffel tödlich getroffen hat, ist berechtigt. Die drei Schlussfolgerungen aber sind groteske Fehlinterpretationen jagdlicher Praxis und Hemingways durch einen sachlich unerfahrenen Kritiker:
Anschließend zögert er [Wilson] die Suche hinaus, mutmaßlich aus dem Kalkül heraus, daß die Widerstandskräfte des verblutenden Tieres weiter geschwächt werden, und verstößt damit gegen das elementare Gesetz der Jagdethik, ein verwundetes Tier so wenig wie möglich leiden zu lassen. Schließlich empfiehlt er seinem unerfahrenen Schützling eine schwierige und gefährliche Schußposition, während er sich selbst beim Angriff des Büffels zur Seite duckt und mit seiner “cannon” zu einem Schulterschuß ansetzt. … Er wird damit zum eigentlich Verantwortlichen für den Tod Macombers.[41]
Das ist falsch. Man muß Wild im Wundbett krank werden lassen. Sofortiges Nachsetzen ist gefährlich, macht das Wild erneut flüchtig und erschwert eine erfolgreiche Nachsuche.
10. Das kurz vor seinem gewaltsamen Tod glückliche Leben des Francis Macomber endet meiner Beurteilung des Falles nach nicht “als pathetisches Opfer eines unechten, verlogenen Männlichkeitsmythos”[42], sondern durch fahrlässige Tötung oder Mord.
Die fahrlässige Tötung ist durch Mrs. Macombers hysterische, inkompetente Reaktion in einer lebensgefährlichen Jagdsituation, die Wilson in letzter Sekunde ‘cool’ und durch den Fangschuß kompetent entschärft, juristisch erwiesen. Für einen Mord hat Margot Macomber Thanatos-Motive, weil sie das Eros ihres Mannes zerstören will. Sie spielt sich als Richterin auf, ohne jagdliche Kompetenz. Sie hetzt die Männer gegeneinander, dient sich Wilson als Ehebrecherin an und wird in der Geschichte als Todesengel aufgebaut, als Francis gegen sie aufbegehrt und ihr immer mehr entgleitet. Sie hat handfeste materielle Interessen, denn bei einer Scheidung von Francis würde sie nicht als Alleinerbin davonkommen.
Warum sollte sie nicht nachgeholfen haben, als Macombers Leben in einer Jagdunfallsituation an Wilsons Kompetenz als Berufsjäger hing? Ihre Waffe war in dieser Situation nur zur Tötung eines Menschen geeignet, nur der präzise Schuß ist unwahrscheinlich. Ein Glückstreffer? Eleganter für sie wäre es gewesen, wenn der Bulle Macomber getötet hätte, aber erstens hat sie geschossen und zweitens zu früh.
Mrs. Macomber hat den Berufsjäger in ihrer Niederträchtigkeit gegen ihren Mann mißbraucht, sieht ihre Felle davonschwimmen, als die Männer sich trotzdem vertragen und ein Eros todesverachtender Kameradschaft entwickeln. Außerdem will sie Wilson durch eine Anzeige wegen Hetzjagd erpressen. Doch der “White Hunter” schlägt am Ende grausam zurück:
‘That was a pretty thing to do,’ he said in a toneless voice. ‘He would have left you too.’
‘Stop it,’ she said.
‘Of course it’s an accident,’ he said. ‘I know that.’
‘Stop it’, she said.
… ‘Why didn’t you poison him? That’s what they do in England.’
‘Stop it. Stop it. Stop it,’ the woman cried.
Wilson looked at her with his flat blue eyes.
‘I’m through now,’ he said. ‘I was a little angry. I’d begun to like your husband.’
‘Oh, please stop it,’ she said. ‘Please, please stop it.’
‘That’s better,’ Wilson said. ‘Please is much better. Now I’ll stop.’[43]
Sexuell, jagdlich und kriminologisch zeigt der Berufsjäger, wer der Mann, der Jagdleiter und der Polizeipräsident in seinem Revier ist. Wenn es Mord sein muß, dann bitte durch die hohe englische Kunst des Vergiftens: keine sichtbare Gewalt, kein Blut, keine Mordkommission. Die stahlblauen Augen, aus denen Thanatos auf sie herabschaut, hätten Mrs. Macomber warnen müssen. Der Jäger ist härter als die Hure, Mörderin und Erpresserin, aber Wilson wird sie nicht vor Gericht bringen.
Nach seinem Selbstverständnis als Gentleman bereitet es ihm mehr Freude, die schöne Egomanin zu erniedrigen.
“Master”–Interaktion eines biotiischen und kulturellen Elementartriebes
Angela Carters “Master”[44] ist eine Eros-Thanatos Geschichte in der surrealistischen Tradition des magischen Realismus. Die englische Schriftstellerin schreibt Mythen und Stoffe der Weltliteratur um und neu, lotet sie psycho-analytisch aus.
In “Master” geht es um die fatal deformierte Steigerung einer Jagdpassion zu einer grotesk-makabren Orgie von Sexualität und Tod.
Vom Schultyrannen zum Frauensadisten in seiner Heimat England verkommen, sucht der von Natur aus gewalttätige Titelheld Kolonien, um seinen Thanatos-Trieb in größeren Dimensionen auszuleben.
After he discovered that his vocation was to kill animals … the insatiable suns of Africa eroded the pupils of his eyes, bleached his hair and tanned his skin until he no longer looked the thing he had been but its systematic negative; he became that white hunter, … he did not kill for money but for love.[45]
Der Einleitungsabschnitt von Carters Geschichte stellt die Intertextualität zu Hemingways Mythos des White Hunter her, aber als dessen systematisches Negativ. Vom Subjekt zum Objekt entmenschlicht, wird Master von Anfang an seiner Umwelt ausgesetzt. Er jagt nicht aus materiellen oder ideellen, sondern aus tyrannischen Motiven. Er leidet unter seinem Tötungstrieb und fügt anderen sadistisch Leid zu.
Schon bald genügen ihm die friedlichen Wiederkäuer der afrikanischen Savanne nicht mehr. Er spezialisiert sich auf die Ausrottung der “printed beasts”[46], der gefleckten Großraubkatzen, bis es ihn nicht mehr in der Alten Welt hält. Als Kolumbus und Terminator, als “English Explorer” und Robinson Crusoe beutet er die Neue Welt aus,
… intending to kill the painted beast, the jaguar, … where time runs back …, the world whose fructifying river is herself a savage woman, the Amazon.[47]
Mythos der Weiblichkeit und Dschungel sind eins. Die Evolution läuft rückwärts zum Primitivismus[48], je weiter sich Master von der Zivilisation entfernt. Für das Reserverad seines Jeeps hat er sich eine Urwaldindianerin aus dem Jaguarstamm gekauft, die er entjungfert und “Friday” nennt,
… he taught her to say ‘master’ and then let her know that was to be his name.[49]
Trotz ihrer Versklavung verliert Friday nie ihr Katzenlächeln. Bereits die Azteken und Inka kannten Jaguarmenschen und die Löwen-Frau von Hohlenstein in der Schwäbischen Alb, ca. 30 km nördlich von Ulm in der nähe der Autobahnraststätte Lonetal ist die älteste Kultfigur aus der Eiszeit in Deutschland (ca. 30.000 Jahre alt).
Als Straßen und Wege aufhören, tauscht Master seinen Geländewagen beim letzten Dorfpriester gegen Gin ein. Sie verbrennen ihre Schiffe und brechen alle Brücken ab auf dem Weg in die grüne Hölle.
Im Urwaldklima findet Master seinen Meister. Er leidet an Malaria und wird zum Alkoholiker. Sein Weg in das Herz der Dunkelheit hinterläßt eine Blutspur abgebalgter Jaguare. Als er dem Mädchen aus einem vegetarischen Stamm das Fleischessen und Schießen beibringt, vollzieht sich eine gegen ihn selbst gerichtete, unheimliche und atavistische Metamorphose.
… since he had taught her to eat meat, now she thought she must be death’s apprentice. …
The spectacle of her massacres moved him and he mounted her in a frenzy,[...][50]
Masters Sadismus verwandelt Eros in Thanatos.
As she grew more like him, so she began to resent him.[51]
Die Entwicklung Fridays verläuft allerdings, im Gegensatz zum hierarchischen Denken des Westens und zum Darwinismus des Engländers,[52] – egalitär und regressiv.
… her cosmogony admitted no essential difference between herself and the beasts and the spirits, it was so sophisticated. …[53]
Diese Zivilisationskritik wird durch Angela Carter auf die Spitze getrieben, weil die Natur die Zivilisation in “Master” zurückerobert.
While he slept, she flexed her fingers in the darkness that concealed nothing from her and, without surprise, she discovered her fingernails were growing long, curved, hard and sharp .
… the touch of water aroused such an unpleasant sensation on her pelt. …
She could no longer tolerate cooked meat but must tear it raw between her fingers off the bone before Master saw.
… when she tried to speak, only a diffuse and rumbling purr shivered the muscles of her throat and she dug neat holes in the earth to bury her excrement, she had become so fastidious since she grew whiskers.
… one day, she found she was not able to cry anymore.
… the shoulder to which she raised the rifle now had the texture of plush.
… she trotted across the clearing to worry the clothing of the corpse with her teeth.
But soon she grew bored and bounded away.
Then only the flies crawling on his body were alive [...][54]
Genau in dem Augenblick, als Friday ihren Unterdrücker und Folterer Master erschießt, ist ihre Rückverwandlung in eine Jaguarin vollzogen.
Angela Carters 6-seitige Kurzgeschichte “Master” entwickelt das Jagdmotiv zum Todestrieb, der die Evolution der Menschheit um eine Million Jahre zurückwirft, in eine Welt des Dschungels, in die Unschuld des “virgin forest”. Es ist eine Welt ohne Menschen, deshalb ist der Interpretation von Aidan Day in Angela Carter: The Rational Glass (1998)[55]
[...] the point of the tale is that such egocentric compulsions may engender only similar compulsions in their victims, so that a world defined on I y in these terms [...] endlessly repeats destruction, [...]
überhaupt nicht zuzustimmen, im Gegenteil: Die von unserer Perspektive aus auf den Naturzustand zurückgeworfene Welt kennt weder Gut noch Böse. Die Jagd des Jaguars ist vollkommen unschuldig, denn mit dem letzten Menschen haben auch alle notwendigerweise anthropozentrischen, moralischen Prinzipien diese Welt verlassen.
Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
Ernest Hemingway (1899-1961), Stoiker und Existenzialist[56] der “Lost Generation” nach dem Ersten Weltkrieg, freiwilliger Sanitäter und Krankenwagenfahrer, schwer verwundet an der Piave-Front, Fischer, Jäger, Bewunderer Spaniens, Kriegsreporter auf der Seite der Republik im Bürgerkrieg und in Deutschland während der Invasion im Zweiten Weltkrieg, als Macho und Killer diffamiert, Literatur-Nobelpreisträger 1954, Selbstmörder nach totalem “burn-out” 1961, ist dennoch positiver, als ein gerade modischer, dekonstruktivistischer Ansatz ihn sehen möchte.
Die “Hemingway heroes and heroines”, Francis Macomber und Robert Wilson; Don Anselmo, Pilar und Maria, Robert Jordan in For Whom the Bell Tolls (1940), Santiago in The Old Man and the Sea (1952) beweisen “Grace under Pressure”, die bewundernswerte Anmut und Würde von Frauen und Männern, sogar im Angesicht des Todes.
“The Short Happy Life of Francis Macomber” ist und bleibt eine Initiationsgeschichte, wobei sich der Zynismus letztlich gegen Mrs. Macomber richtet, weil Francis die tödliche Gefahr der Großwildjagd in Kenia, wenn auch mit Hilfe des White Hunter und unter Opferung seines eigenen Lebens, besteht.
Angela Carters “Master” ist keine magisch-realistische Gruselgeschichte gegen die Jagd allein oder an sich. Das Zentralmotiv der Jagd ist hier eine triebhafte Perversion, die symbolisch für den Egoismus, die Ausbeutungsmentalität, die Mitweltzerstörung und die endgültige Selbstzerstörung der Menschheit im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung stehen kann.
Masters Vernichtungsfeldzug gegen die mächtigste Großkatze Mittel- und Südamerikas ist aus jagdlichen Gründen so frevelhaft, weil der Jaguar an der Spitze der Nahrungskette steht. Reviertreue und Verdrängungskämpfe sorgen von Natur aus für eine dünne und gleichmäßig verteilte Population, deren Zuwachs keine massenhafte Erlegung rechtfertigen kann. Ausgenommen ist die Tötung einiger “Menschenfresser”, alles andere verstößt gegen die wissenschaftliche Grundlage, die ökosystembedingte Rechtfertigung jagdlicher Eingriffe.
Angela Carter (1940-1992) liefert mit “Master” eigentlich keine Jagdgeschichte, sondern eine am Zentralmotiv selbstzerstörerischer Todestriebhaftigkeit orientierte Dystopie der Zukunft der Menschheit.
Carter schreibt in “Master” den Stoff von “Zwei-Welten-Erzählungen”, die in Gleichnissen, Legenden und Märchen zumeist positiv von der Verwandlung von Tieren in Menschen berichten, negativ um. Der Beitrag “Symbolik der Wandlung im Märchen” (1956) von Wilhelm Laiblin in Märchenforschung und Tiefenpsychologie (1968)[57] enthält Hinweise auf eine Fülle von Zweiweltenerzählungen, in denen Menschen erfolgreich sind, weil sie die Sprache der Tiere verstehen und Tieren helfen, wie die Ihnen allen bekannte Verwandlung des “Froschkönigs” in einen schönen Prinzen und begehrenswerten Ehemann durch die – wenn auch rabiate – Tat der Königstochter.
Angela Carter kennt sich aus, wie ihre Rezension von “German Legends of the Brothers Grimm” in Expletives Deleted (1992)[58] beweist. Außer auf die Sagenstoffe greift sie in ihrer Kurzprosa ständig auf die Volksmärchen zurück, ohne die nach ihrer Meinung kein Haushalt vollständig wäre.
Carter dekonstriert aber ihre Vorlagen, sie dringt mit ihrem magischen Realismus in die Dämonie der menschlichen Seele vor. “Master” ist eine schockierende Perversion von Eros zu Thanatos durch Triebe, die unsere Zivilisation lieber verdrängt und verschweigt.
“Master” symbolisiert nicht nur die Entmenschlichung rückwärts in eine unschuldige “Bestialität”, das wäre nur die Spitze des Eisbergs. Die Tiefenstruktur der Geschichte ist dystopisch. “Master” ist eine Warnung vor unserem todsicheren Ende, wenn die Menschheit nicht die beiden wichtigsten Zukunftsaufgaben in diesem Jahrtausend zu lösen vermag: die Sicherung des Friedens und die Bewahrung der Schöpfung. Gelingt dies nicht, werden globale Kriege, Orkane, Flutkatastrophen, Verwüstung, Verstrahlung und der Untergang der Spezies “Homo sapiens sapiens”, wie symbolisch in “Master”, die Folgen sein.
Die Antwort lautet nicht “Eros und Thanatos” sondern “Eros oder Thanatos”.
Kurzgeschichten sind metaphorisch, oder präziser metonymish, Eisberge. Coole, tiefgründige Giganten, von denen man nur einen Bruchteil, die Spitze, sieht und schwebende Verfahren, “suspense”, von denen man nicht so genau weiß, wohin und zu welchem Ende die Reise geht.
Nach meiner ziemlich unmaßgeblichen, weil hinreichend inkompetenten und nichtsdestotrotz vom Gefühl der Richtigkeit getragenen Überzeugung bilden die beiden Erzählungen von Hemingway bzw. Carter eine einzigartige Quelle der Wahrnehmung unserer vorkulturellen Persönlichkeitsstruktur an der Wiege der Evolution des Selbstbewusstseins. Deshalb schätze ich sie als die herausragenden Lichtgestalten der jagdthematischen Weltliteratur.
Die Zukunftschance des Menschen durch ein Sich-Begreifen im Sinne der Jagdtheorie als in Natur und Kultur verschränktes Lebewesen erscheint mir durchaus hoffnungsvoll einschätzbar. Die düstere Sicht des UN-Weltgipfels für eine nachhaltige Entwicklung (Südafrika, Johannesburg im August 2002) wird wohl nur dann aufrütteln und eine gerechtere Weltordnung herbeiführen können, wenn wir die Jagd als ein universelles Phänomen einer Jagd nach Ressourcen überhaupt als die Möglichkeit eines Konsensmodells begreifen und damit die Basis für eine allgemeine Teilhabe an solchen Ressourcen durch internationales Recht sichern lassen würden.
Ich schließe mich deshalb der Sichtweise von Irenäus Eibl-Eibesfeldt in nachfolgendem Zitat an:
“Als Volltreffer der Evolution charakterisierte uns Hubert Markl. (…) Eine der stammesgeschichtlich ältesten Problemlagen ist unsere Programmierung auf den Wettlauf im Jetzt (…) So angetrieben haben wir unsere Erde erobert wie keine Wirbeltierart zuvor. (…) Und nur die Gegenwart zählt. Man pflegt das Land nicht mehr, man beutet es aus und lässt es verkommen (…) Dazu kommt, daß wir Gefahren, die (…) nicht in einem Lebensalter eintreten, nicht als bedrohlich erleben, auch wenn wir sie rational erkennen (…) Nur was mit Wahrscheinlichkeit in einem Menschenleben eintritt, wird gemieden.
‘Nach uns die Sintflut’ ist eine Haltung, die der Entwicklung eines generationsübergreifenden Überlebensethos entgegenwirkt. (…) Welche der uns ebenfalls angeborenen Verhaltensdispositionen können wir nutzen?
Es sind im wesentlichen drei: Unsere Naturliebe, unser starkes fürsorgliches Engagement für Kinder und unser (…) Gefühl für Verpflichtung (…) Letztlich dient ein pfleglicher Umgang mit der Natur und der durch sie zur Verfügung gestellten Ressourcen unserem eigenen Interesse, das lautet: das größtmögliche Lebensglück für alle, und das nicht nur in der Gegenwart, sondern auch für künftige Generationen. Dazu mag schließlich das verpflichtende Bewußtsein beitragen, daß wir den ungezählten Generationen unserer Vorfahren das kulturelle Erbe verdanken, auf dem wir weiter aufbauen, ein Bewusstsein, das uns die moralische Verpflichtung auferlegt, so zu handeln, daß auch künftige Generationen menschenwürdig überleben.”[59]
Anmerkungen und Quellen
[1] Brockhaus Enzyklopädie: s. v. “Eros”.
[2] The Essential Hemingway, (Hannondsworth, Mx: Penguin, 1964), p. 413 – 441.
[3] Sofia Souli, Griechische Mythologie, (Athen: Toubis, 1995), S. 44 und 58.
[4] Nach der Theogonie der Phönizier war der Liebesgott zusammen mit Pothos, der Begierde, Sohn der Uranos-Tochter Astarte und des Uranos-Sohnes Kronos, also eine der ältesten Gottheiten überhaupt, die das Leben schön macht und ihm einen Sinn gibt. Die Liebe steht immer auch in Verbindung mit dem Tod, z. B. bei Venus und Adonis. Vgl. Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexicon, (Leipzig: Gleditsch, 1770), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Sonderausgabe 1996, S. 438 – 440; 1040 – 1041.
[5] Brockhaus Enzyklopädie: s. v. “Thanatos”.
[6] Angela Carter: “Master”, in: Burning Your Boats: Collected Short Stories (London: Vintage, 1996), p. 75 – 80.
[7] Ebda.
[8] Hederich: Mythologisches Lexicon, s. v. “Aktaeon”, “Artemis”, “Orion”.
[9] Nach Erkenntnissen der Psychoanalyse wird der Orgasmus auch als “La Petite Mort” bezeichnet.
[10] “Master”, a.a.O., p. 77.
[11] Ebda.: p. 80.
[12] Breuer, Horst und Dieter Ohlmeier: “Reise ins finsterste Afrika: Psychoanalytische Bemerkungen zu Ernest Hemingways Erzählung ‘The Short Happy Life of Francis Macomber’”, Amerikastudien / American Studies, 30(1985), S. 47-57.
[13] Ein leichtes Waidblatt des deutschen Herstellers “Puma” trägt sogar die Typenbezeichnung “White Hunter”. Die Schwarzen in Hemingways Afrikageschichten sind “nur” Fährtenleser und Gewehrträger.
[14] Ebda.: S. 110 – 121.
[15] v. Wulffen, 1990, S. 663.
[16] “The Short Happy Life of Francis Macomber”, in: The Essential Hemingway (Harmondsworth, Mx: Penguin, 1964), p. 413 – 441, 414.
[17] Ebda.: p. 424, 425.
[18]. Ebda.: p. 428.
[19] Ebda.: p. 429-430.
[20] Ebda.: p. 429.
[21] Ebda.: p. 432 – 433.
[22] Kurt Müller: Ernest Hemingway, S. 120.
[23] Kenneth S. Lynn: Hemingway (Cambridge, Mass.: Harvard UP 1987), p. 432.
[24] D. H. Lawrence: Studies in Classic American Literature (1923) (Hannondsworth: Penguin, 1971), p. 8.
[25] Kurt Müller: a.a.O., S. 119-120.
[26] Francis Macomber, a.a.O. p. 428.
[27] Ebda.: p. 417.
[28] Shakespeare: King Henry IV: 2,111,2,251. Francis Macomber, p. 437.
[29] Francis Macomber, a.a.O. p. 414.
[30] Ebda.: p. 417.
[31] Ebda.: p. 434 – 435.
[32] Ebda.: p. 435 – 436.
[33] Ebda.: p. 423.
[34] Ebda.: p. 433.
[35] Ebda.: p. 425.
[36] Kurt Müller: a.a.O., S. 115.
[37] Ebda.: p. 422.
[38] Ebda.: p. 428.
[39] Ebda.: p. 440.
[40] Kurt Müller: a.a.O., S. 116.
[41] Ebda.: S. 116.
[42] Ebda.: S. 120.
[43] Francis Macomber, a.a.O. p. 441.
[44] Angela Carter: a.a.O., p. 75 – 80.
[45] Ebda.: p. 75.
[46] Ebda.: p. 75.
[47] Ebda.: p. 75 – 76.
[48] Kristina Beckenbach: Angela Carter, Diss. (Kassel 2001).
[49] Angela Carter: a.a.O., p. 77.
[50] Ebda.: p. 79.
[51] Ebda.: p. 79.
[52] Kristina Beckenbach: a.a.O.
[53] Angela Carter: a.a.O., p. 79.
[54] Ebda.: p. 79 – 80.
[55] Aidan Day, Angela Carter: The Rational Glass (Manchester, New York: MUP, 1998), S. 96 – 97.
[56] Vgl. Thomas Siebert: Existenzphilosophie (Stuttgart, Weimar: Metzler, 1997).
[57] W. Laiblin (Hrsg.): Märchenforschung und Tiefenpsychologie (Darmstadt: WBG, 1995), S. 345 – 374.
[58] Vgl. Angela Carter, Expletives Deleted (London: Vintage, 1993), S. 33 – 36.
[59] Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Warum wir die Natur lieben und trotzdem zerstören: Die Falle der Kurzzeitstrategie, in: Deutscher Hochschulverband (Hrsg.): Almanach, Bonn: DHV 1997, S. 7 – 14.