Der Autor Günter R. Kühnle, www.guenter-r-kuehnle.de, hat 1953 als Teilnehmer einer Schülergruppe den spanischen Philosophen José Ortega y Gasset in München persönlich am Rande einer Vortragsveranstaltung kennen gelernt. Auf kryptisch anmutende Axiome, die Ortega in einem Jagdessay ( Prólogo a un Tratado de Monteria, 1942) mit einem kulturevolutivem Ansatz verwendet hatte, sprach ihn der Schüler damals an, um die ihm unklaren Textpassagen besser verstehen zu können. Ortega hat Kühnle bei dieser Gelegenheit empfohlen, die Anthropologie von Helmuth Plessner (Die Stufen des Organischen und der Mensch, 1928) zu lesen, um aus dem Verständnis dieser Sichtweise seinen, Ortegas, Ansatz für eine kulturanthropologisch-philosophische Deutung bzw. Selbstauslegung des Menschen begreifen zu können. Kühnle hat später in einer wissenschaftlichen Arbeit zum Erlangen einer akademischen Qualifikation bei der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn Ortegas Text mit dem deutschen Titel MEDITATIONEN über die JAGD (DVA 1954) zum Objekt einer Textanalytik verwendet und dem Leser des Jagdessays die Möglichkeit einer angemessenen Evaluierung der jagdthematischen Axiome und Denksätze vermittelt. Die Publikation der wissenschaftlichen Arbeit in einer sprachlich und stilistisch dem allgemeinen Leser zugänglichen Überarbeitung erschien als Buchbeitrag mit dem Titel
DER MENSCH als JÄGER im SPIEGEL seiner VERNUNFT,
Differenz und Identität, Das Töten von Wildtieren als natürliches und kulturelles Phänomen. Untersuchungen am Beispiel
JOSÉ ORTEGA y GASSET: Meditationen über die Jagd
In einer Besprechung urteilt der Rezensent in den
Mitteilungen der Humboldtgesellschaft (Folge 34)
mit einem Zitat, indem er einen Kerngedanken aufgreift:
„Ob es uns gefällt oder nicht, die Jagd strukturiert und
organisiert offenbar in bisher wenig zur Kenntnis
genommenen Weise über ererbte Strukturen unseres
Denkens und unserer (viel älteren) Emotionalität
individuelles Verhalten bis hin zu massenpsychotischen
Zuständen, die wir mit der Jagd zulässig angesichts eines
anderen Werkes des spanischen Philosophen („Der Aufstand
der Massen“) und den darin vermittelten soziopsychologischen
Erkenntnissen verbinden dürfen.“
Auch die renommierte wissenschaftliche Fachzeitschrift für Anthropologie, HOMO, beurteilt Kühnles Textanalytik des „Prólogo a un tratado de Monteria“ von José Ortega y Gasset wie nachfolgend ausgeführt:
H O M O
VOL 51/1Journal of Comparative Human Biology
REZENSION:
Kühnle, Günter R. (1997): Der Mensch als Jäger im Spiegel seiner Vernunft. Differenz und Identität. Das Töten von Wildtieren als natürliches und kulturelles Phänomen. Untersuchungen am Beispiel José Ortega y Gasset: Meditationen über die Jagd, 436 Seiten, Avant-Verlag München-Bonn, ISBN 3-9802325-8-1
Die von Kant in seiner Vorlesung zur Logik gestellte Frage “Was ist der Mensch?” beantwortet Plessners Anthropologie mit einer heute interdisziplinär anerkannten strukturanalytischen Selbstauslegung des Menschen. Im zentralen Erkenntnishorizont wird das spezifisch Menschliche als die Strukturtypik einer Natur-Kultur-Verschränkung herausgearbeitet. Die von Kant in Wesenseinheit begriffene gleichursprüngliche und apriorisch strukturelle Verfassung der Spezies Homo s. sapiens als ein mit Vernunft ausgestattetes Wesen der Sinnlichkeit (Animal) lässt die Differentia spezifica von Mensch und Tier im reflexiven Bewusstsein “wohnen”: Der Mensch ist das Tier, das um seine Tierheit auch weiß. Kühnle hat in seinem Buch diesen Ansatz zum Klärungsversuch der oft gestellten Frage benutzt, ob das Jagdschema des rezenten Menschen, das über Tausende Generationen hinweg sein Handlungsschema bildete, im Übergang zur neolithischen Revolution mit Veränderung der Neocortex zum Denkschema wurde. Aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung und Mirkobiologie (z.B. Roth, Maturana, Dulbecco et al.) werden herangezogen. Kühnles Ausgang setzt bei dem vorkulturellen Menschen an, für den die Vitalkategorie Jagd, das Jagdschema als Handlungsschema, verhaltensleitend gewesen ist. Vermittels der strukturanalytischen Auslegung des Menschen durch Plessner kommt das Phänomen Jagd in der menschspezifischen Strukturtypik der Natur-Kultur-Verschränkung aufgrund einer dichotomen Wechselbeziehung eines sowohl natürlichen (Vitalkategorie) als auch kulturellen Phänomens zum Ausdruck. Zwei Menschen- bzw. Weltbilder konkurrieren in der Abhandlung des Autors um ihre Stärke: Das naturalistische Weltbild im Sinne der EE und im Rekurs auf Konrad Lorenz (das ontogenetische Apriori ist ein phylogenetisches Aposteriori) in Gegenüberstellung zum idealistischen Weltbild Kants (Zweiweltentheorie) im Verständnis des Menschen als Einheit von Sinnen- und Vernunftwesen. Für die Bewältigung des Themas bietet sich dem Psychologen und Philosophen Kühnle das anthropologische Essay des spanischen Philosophen und Kulturanthropologen José Ortega y Gasset an (DVA 1953). Zentral in der Sicht steht die Tötungsthematik: das Töten von Tieren im Vollzuge der natürlichen Jagd im Sinne von Ressourcensicherung. Eine Jagdform, die auch der rezente Mensch (Nahrungsjäger) bis heute praktiziert insofern die Jagdbeute seine Lebensgrundlage bildete bzw. noch heute bildet. Ortegas Anthropologie folgt konsequent dem Plessnerschen Schema, das der Spanier 1953 in einem Gespräch mit dem Autor ausdrücklich als das hierfür maßgebliche Interpretationskonstrukt beruft. Im Vorgriff auf die aktuellen Beiträge des Göttinger Anthropologen und Primatenforschers Christian Vogel zur Räuber-Beute-Koevolution beweist und begründet Kühnle die widerspruchsfreie, logisch deduzierbare Übereinstimmung mit Ortegas Axiomen und Urteilssätzen wie in diesem Beispiel: “Die Jagd ist nicht etwas, das zufällig über das Tier kommt, sondern der Jäger ist schon im tiefen Schoß der Natur des Tieres vorgesehen.” Der Autor ist überzeugt, daß nur aus diesem Verständnis heraus Koevolution begreifbar wird. EGR