WAS  IST  PHILOSOPHISCHE  ANTHROPOLOGIE  ? 

Wissenschaften, die wir allgemein unter dem Sammelnamen HUMANWISSENSCHAFTEN  zusammen fassen, erlangen ihre Ergebnisse in der  Regel einerseits durch methodische Begrenzungen und andererseits durch Theorienbezogenheit. Ihr wesentlicher Forschungsgegenstand ist das Wissen des Menschen über sich selbst.

Wozu also noch philosophische Anthropologie, so könnte man fragen?

Die Resultate der Humanwissenschaften werden erst dann korrekt verwendet, wenn auf ihre Theorienbezogenheit hingewiesen wird. Zu einer INTEGRATION aber eignen sich die  Ergebnisse der Humanwissenschaften aufgrund des Theorienpluralismus, den sie notwendig mit sich führen, nicht. Damit ist die These von der Ersetzbarkeit philosophischer Anthropologie durch die Humanwissenschaften widerlegt. Neuere Supratheorien systemtheoretisch orientierter Humanwissenschaften, die ein Ganzes unter einem kybernetischen Aspekt betrachten, können philosophische Anthropologie nicht entbehrlich werden lassen, quod sit demonstrandum.

Das Auseinanderdriften der Wissenschaften, die sich mit dem Menschen befassen, eine Aufteilung in Natur- bzw. Geisteswissenschaften, rief wie von selbst eine Wissenschaft  auf den Plan, die in der Lage und nach ihrem Selbstverständnis bereit ist, den Menschen reflexiv in den Blick zu nehmen. Betrachten die Naturwissenschaften den Menschen als determiniertes Naturwesen, ein Interpretationskonstrukt, das aktuell bei den Neurowissenschaften Konjunktur besitzt, so bevorzugen die historischen Wissenschaften  eine Sichtweise des HOMO SAPIENS SAPIENS als Kulturwesen, während die Sozialwissenschaften den Menschen in erster Linie als soziales Wesen erforschen.

ANTHROPOLOGIA SPEZIFICA

Ganz allgemein werden mit ANTHROPOLOGIE  jene Disziplinen der Biologie bezeichnet, die sich mit dem phylogenetischen Entstehen des Menschen aus Vorformen (Paläoanthropologie) befassen. Weiter werden Disziplinen mit diesem Ausdruck bezeichnet, deren Forschungsobjekt die Humangenetik und die rassenspezifischen Unterschiede der Körperformen des rezenten Menschen sind. Als solche ist die Anthropologie eine naturwissenschaftliche Disziplin.

Mit der Frage nach dem Menschen beschäftigen sich auch andere wissenschaftliche Disziplinen. Sie geben den engeren Bereich ihres Forschungsfeldes mit einer Präposition an:

So unterscheiden wir z.B. die pädagogische von der theologischen bzw. medizinischen Anthropologie. Im anglo-amerikanischen Raum bildete sich im 20. Jahrhundert eine Ebene der Anthologie heraus, die der Ethnologie nahe steht: Die cultural  bzw. social anthropology.

Aus dem Aspekt der insoweit relevanten wissenschaftlichen Ansätze von José Ortega y Gasset wird die DEUTSCHE ORTEGAGESELLSCHAFT  Kulturanthropologie und Philosophische Anthropologie einheitlich bearbeiten.

Mit der hier bloß angedeuteten „Diversifizierung“  der Ansätze zu Kants Frage: Was ist der Mensch? durch unterschiedliche Wissenschaftsbereiche stellt sich für das 21. Jahrhundert die dringliche FRAGE nach der EINHEIT des MENSCHEN .

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts  entstanden vor dem Hintergrund eines unserer heutigen sozialen und politischen Situation durchaus ähnlichen Krisenbewusstseins  fast zeitgleich drei Hauptströmungen philosophischerAnthropologie:

MAX  SCHELER, enger Freund von José Ortega y Gasset,   publizierte 1928 seine Anthropologie mit dem Titel:  Die Stellung des Menschen im Kosmos.

Helmuth Plessner, Ortegas Favorit in anthropologischer Absicht, machte mit der anthropologischen Abhandlung: Die Stufen des Organischen und der Mensch im selben Jahr auf sich aufmerksam.

Arnold Gehlen folgte 1940 mit der anthropologischen Studie:  Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt.

Scheler, Plessner und Gehlen bewerteten diese Form der Anthropologie als Fundamentaldisziplin. Sie forderten, die Anthropologie müssen jedenfalls als Zweig der Philosophie etabliert werden. Plessners Stufen haben sich als durchgängig konsistent im allgemeinen wissenschaftlichen Gebrauch bewährt und schon bald die Beiträge von Scheler bzw. Gehlen im akademischen Raum isoliert. Ortega rekurriert immer wieder und in wesentlichen Fragen seines anthropologischen Nachdenkens speziell auf  Plessners Stufen. Ortega besaß eine Erstausgabe dieser Anthropologie, die er mit Hingabe und Intensität (zahlreiche Randnotizen im laufenden Text!) bearbeitet und danach (z. B. in den MEDITATIONEN über die JAGD)  in die Architektonik seines relevanten Denkgebäudes  einbezogen hat.

DAS IST PHILOSOPHISCHE ANTHROPOLOGIE !

Im kritischen, reflexiven Umgang mit den Resultaten der Humanwissenschaften bildet sich der Charakter der philosophischen Anthropologie. Umgekehrt kommt sie nicht umhin, sich unter den Bedingungen der modernen Forschung, hier insbesondere der Bio- und Neurowissenschaften, der Hirnforschung und Ethologie mit eben diesen Resultaten der Humanwissenschaften auseinanderzusetzen. Im 21. Jahrhundert kann Philosophische Anthropologie demgemäß nur noch im Gespräch mit den Humanwissenschaften stattfinden!

Schon Plessner nennt sie eine integrative Disziplin, weil es ihre Aufgabe sei, alle Erkenntnisse relevanter Wissenschaften nicht etwa zu addieren, sondern sie auf ihre Einheit hin zu deuten.

Dieser Aufgabe wird sich die Deutsche Ortegagesellschaft stellen.

Nach der Einheit des Menschen also ist zu fragen und das bedeutet, danach zu fragen, was sich zunächst im Rekurs auf Plessner in einem Doppelaspekt zeigt. Alle Lösungen, die diesen Doppelaspekt verkürzen, scheiden aus.

Web-Redaktion